: Badewannenjournalismus bald teuer?
■ Justizministerium prüft, ob für Berichte über Intimsphäre Schadensersatz fällig werden soll
Bonn (taz) – Die Dementis hielten keine 48 Stunden. Gestern wurde in Bonn bestätigt, was das Bundespresseamt noch am Samstag als Tatarenmeldung abgetan hatte: Eine Runde aller führenden Köpfe aus Regierung und SPD-Opposition hat sich am 29. April im Kanzleramt mit der Frage befaßt, wie man Journalisten besser an die Kandare nehmen könnte. Neben Bundeskanzler Helmut Kohl und CDU/ CSU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble waren nicht nur die FDP-Spitzen Otto Graf Lambsdorff und Klaus Kinkel dabei, sondern auch der damalige SPD-Chef Björn Engholm sowie SPD-Fraktionschef Hans-Ulrich Klose.
Das konspirative Treffen, das Klose- Mitarbeiter gestern als „Smalltalk-Runde ohne Ergebnis“ abtaten, blieb in Wahrheit nicht folgenlos. FDP-Chef Lambsdorff räumte gestern freimütig ein, daß die Runde dem Bundesjustizministerium einen konkreten Prüfauftrag erteilt habe. Geklärt werden soll, ob auch bei rein immateriellen Schäden ein Anspruch auf Schadensersatz eingeführt werden könnte. Eine derartige Regelung sei eventuell geeignet, um gegen Berichte über das Privatleben von Politikern vorzugehen. „Wir haben beschlossen“, so Lambsdorff, „zu prüfen, ob das rechtlich möglich ist und in unser Rechtssystem paßt“.
Justiz- und Innenministerium wurden von Lambsdorffs offenen Worten kalt erwischt. Sie blieben gestern bei der offiziellen Linie und dementierten. „Bis jetzt“, so der Sprecher des Justizministeriums, seien in seinem Haus weder „konkrete Prüfaufträge“ noch allgemein gehaltene Bitten um Bearbeitung bekannt. Auch im Innenministerium, das für Fragen des Presserechts zuständig ist, war angeblich „von einem entsprechenden Auftrag nichts bekannt“.
Weitergehende Pläne zur Einschränkung der Pressefreiheit, über die der Spiegel berichtet hatte, tat auch Lambsdorff gestern als „blühende unerfreuliche Phantasien“ und „völligen Unsinn“ ab. Das Hamburger Magazin hatte gemeldet, es seien schärfere Strafgesetze zum Schutz der Persönlichkeitsrechte von Politikern im Gespräch. Denkbar sei eine „Umkehr der Beweislast im Falle bloßer Vermutungen“. Daneben überlege Kohl einen „Boykott mißliebiger Blätter und Sendungen“.
In Regierungskreisen wurde hingegen lediglich Lambsdorffs Version bestätigt, daß möglicherweise gegen Berichte über das Privatleben von Politikern schärfer vorgegangen werden solle. Den Anlaß habe ein Bericht der Illustrierten Bunte geliefert, die eine Woche vor dem Termin im Kanzleramt über Eheprobleme von Björn Engholm und Helmut Kohl berichtet hatte. Was in der Runde diskutiert worden sei, könne „in keiner Weise“ dazu beitragen, politische Enthüllungen zu behindern, versicherte auch Lambsdorff. Zusammengekommen sei man wegen eines „völlig anderen Gegenstands“. Lediglich gegen Ende habe die Runde auf seine, Lambsdorffs, Anregung hin über diese Fragen gesprochen.
Widerspruch gegen die Pläne der großen Koalition aus Regierung und Opposition kam gestern vom SPD-Vizevorsitzenden Wolfgang Thierse. Selbst gegen „unanständige“ Berichte sollte man nicht mit schärferen Gesetzen vorgehen, sagte Thierse der taz. „Hoch sinnvoll“ wäre es hingegen, wenn die Journalisten „selbst die öffentliche Debatte“ über ihre Arbeit führen würden. hmt Kommentar Seite 10
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