: Das Land der Patent-Piraten
Trotz eines neuen Patentgesetzes bleibt Brasilien beim Kopieren intellektuellen Eigentums Weltspitze / Pharmaindustrie ist unzufrieden ■ Von Astrid Prange
Rio de Janeiro (taz) – Der Druck aus dem Norden zeigte keinerlei Wirkung. Obwohl die Vereinigten Staaten in der vergangenen Woche Brasilien auf die „schwarze Liste“ mißliebiger Handelspartner setzten, weigerten sich die brasilianischen Parlamentarier, die Interessen der US-Pharmaindustrie zu berücksichtigen. In dem Ende vergangener Woche verabschiedeten Gesetz zur Frage des intellektuellen Eigentums wurde sowohl die Patentierung von Mikroorganismen als auch die rückwirkende Anerkennung von Patenten, die außerhalb Brasiliens entwickelt werden, erheblichen Einschränkungen unterworfen.
In dem über einen Zeitraum von knapp drei Jahren mühsam ausgehandelten Kompromiß ist eine isolierte Patentierung von Kleinstlebewesen wie Bakterien oder Algen nicht vorgesehen. Nur auf einen Herstellungsprozeß, bei dem ein bestimmter Mikroorganismus wie zum Beispiel in der Käseproduktion eingesetzt wird, kann das Recht auf geistiges Eigentum angemeldet werden. Zur Anerkennung von außerhalb des Landes entwickelten Patenten, „Pipeline“ genannt, ist die brasilianische Regierung ebenfalls nicht verpflichtet. Nur Neuentwicklungen können künftig in Brasilien registriert werden.
Um die Entwicklung der nationalen Industrie zu fördern, erkennt Brasilien seit 1949 keine Patente im Bereich Pharmazie, Chemie und Lebensmittelproduktion mehr an. 1971 wurden zudem die Urheberrechte an chemischen und pharmazeutischen Prozessen aufgehoben. Neben Argentinien und Kolumbien gehörte Brasilien damit weltweit zu den wenigen Ländern, die nationalen und internationalen Wissenschaftlern die Anerkennung ihrer Forschungsergebnisse verweigern.
Für den deutschen Chemieriesen Bayer, seit hundert Jahren in Brasilien ansässig, ist der Gesetzesentwurf trotz der zahlreichen Einschränkungen ein „Schritt in die richtige Richtung“: „Die Anerkennung von Patenten im Medikamentenbereich war überfällig. Sie können hier sonst alles produzieren, zum Beispiel Mehl und Mais zusammenmischen und den Mix dann als gleichwertiges Medikament auf dem Markt verkaufen“, erklärt Pressesprecher Dieter Bunker. Francisco Teixeira hingegen, Vorsitzender von Interpharm, der Vereinigung der Pharmaindustrie in Brasilien, bezeichnete das neue Patentgesetz schlicht als „Desaster“. Die kleinen Labore hätten weiterhin die Möglichkeit, Medikamente zu kopieren.
Physiker Ennio Candotti, Vorsitzender der brasilianischen Gesellschaft für Wissenschaft und Forschung (SBPC), zeigte sich von dem Protestgebaren der Pharmaindustrie wenig beeindruckt. „Es handelt sich um einen Sturm im Wasserglas. Die internationalen Konzerne haben ohnehin bereits 80 Prozent des brasilianischen Pharmamarktes in der Hand. Die nationalen Labore müssen sich mit einem Anteil von 20 Prozent begnügen“, stellt er klar.
Nach Ansicht des Physikers ist die Manie der „Amerikaner, alle Lebewesen unter der Sonne zu patentieren“, nicht unbedingt nachahmenswert. Die Brasilianer zögen es vor, sich an europäischen Mustern zu orientieren. „Erst müssen die Produktionsprozesse anerkannt werden. Danach kann man sich den einzelnen Mikroorganismen zuwenden“, findet Candotti. Dies sei in allen anderen Industrieländern auch so gewesen.
Für die Mitglieder der brasilianischen Arbeiterpartei PT ist das Patentgesetz schlicht ein Mittel, die ungerechte Weltwirtschaftsordnung aufrechtzuerhalten. „Japan hat sein Leben lang Patente kopiert und erst 1976 ein entsprechendes Gesetz verabschiedet. Wir wollen ebenfalls erst ein Gesetz verabschieden, wenn wir über das technische Know how verfügen“, erklärt PT-Mitglied Jos Carlos Peliano. Die PT-Fraktion stimmte dem Entwurf nur zu, nachdem Präsident Itamar Franco sich verpflichtete, ein spezielle Regelung für den Umgang mit Mikroorganismen sowie gentechnischen Manipulationen auszuarbeiten.
Die Polemik insbesondere um die Patentierung von Mikroorganismen ist nicht unbegründet: In Brasilien gedeihen immerhin 55.000 der weltweit rund 250.000 verschiedenen Pflanzenarten. Allmählich wächst die Einsicht, daß die enorme Artenvielfalt sich in Zukunft in eine wichtige Einnahmequelle verwandeln könnte. Candotti: „Wir müssen unsere reichhaltigen Reserven katalogisieren und durch ein eigenes Gesetz schützen.“
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