„Mutter hat Vater kaltblütig ermordet"

■ Prozeß um Tötung des Ehemannes: Tochter tritt gegen die angeklagte Mutter überraschend als Zeugin auf: Aussage wirkte auf Beobachter wie einstudiert

Moabit. Im Prozeß gegen die der Tötung ihres Ehemannes beschuldigte 47jährige Raumpflegerin Radosija T. kam es gestern zu einem denkwürdigen Zeugenauftritt: Die eigene Tochter sagte gegen die angeklagte Mutter aus und erhob gegen diese schlimmere Vorwürfe als der Staatsanwalt: „Mutter hat Vater kaltblütig ermordet.“

Die Aussage der 29jährigen Hausfrau Snezana T. kam für alle Prozeßbeteiligten vollkommen überraschend. Denn bei ihrer früheren polizeilichen Vernehmung hatte die einzige Tochter der Raumpflegerin die Aussage verweigert. Dieses Recht steht allen engen Familienangehörigen von Beschuldigten zu.

Wie berichtet, hat die angeklagte Serbin Radosija T. am ersten Verhandlungstag zugegeben, ihren 50jährigen Ehemann Zika T. im August vergangenen Jahres in der gemeinsamen Wohnung in Gropiusstadt mit einer Pistole erschossen zu haben. Das Geständnis war der Frau, die Angehörige der Roma und Mutter zweier Kinder sowie dreifache Großmutter ist, offensichtlich sehr schwer gefallen. Nicht zuletzt wohl deshalb, weil zahlreiche Familienmitglieder der Roma-Sippe des Getöteten den Prozeß als Zuschauer verfolgen. Gestern waren so viele Männer und Frauen gekommen, daß sie sich auf den vollen Bänken zum Teil schon gegenseitig auf dem Schoß saßen. Schweißgebadet hatte die Angeklagte dem Gericht berichtet, daß ihr Mann sie und die bei ihr lebenden Enkel ständig „grün und blau“ geschlagen habe. Nicht genug damit, habe sie die ganze Familie ernährt, habe er sich mit anderen Frauen in der gemeinsamen Wohnung sexuell vergnügt.

Von dem Sinneswandel der Tochter, nun doch als Zeugin auftreten zu wollen, hatte nur der Nebenklagevertreter gewußt. Mit dem, was dann aus dem Mund der mit schwarzen Leggings und schwarzem T-Shirt bekleideten Tochter kam, hatte außer ihm wohl keiner gerechnet. Allerdings ist die Aussage der 29jährigen Snezana über das Verhältnis zwischen ihren Eltern nach Informationen der taz durch nichts in den Akten belegt. Je länger sie redete, desto mehr drängte sich Prozeßbeobachtern der Eindruck auf, daß die Tochter – sei es aus freien Stücken oder auf Betreiben der Verwandtschaft des Vaters – in den „Ring“ geklettert war, weil bei den Roma nicht sein kann, was nicht sein darf: daß eine Ehefrau das Ansehen ihres Mannes in der Öffentlichkeit in den Schmutz zieht und einem toten Familienoberhaupt und Patriarchen Schlechtes nachsagt.

Snezana T. schilderte ihren Vater als gutmütigen, friedfertigen Mann, der zwar gern mal einen über den Durst getrunken, ansonsten aber keiner Fliege etwas zuleide getan habe. Auf die Frage der Verteidigerin, ob der Vater die Mutter geschlagen habe, antwortete die Zeugin mit größter Selbstverständlichkeit: „Das ist bei uns normal.“ Eigentlich habe sie sich aus der ganzen Sache heraushalten wollen. Nachdem sie aber das Gesicht des entstellten Vaters bei dessen Aufbahrung kurz vor der Beerdigung gesehen habe, habe sie sich umbesonnen: „Seither ist sie (die Mutter) tot für mich.“ Zudem habe sie von Verwandten gehört, wie ihre Mutter den Vater im Prozeß dargestellt habe, und das hätte sie unmöglich auf dem Toten sitzen lassen können.

Nicht der Vater, sondern die Mutter sei „Chef“ im Hause gewesen. „Sie ist mit allen Wassern gewaschen“, sagte die Tochter. „Sie ist eine Frau, die nicht mal vor Gott Angst hat. Sie hat gemacht, was sie wollte. Sie hat einen dicken Kopf und ein starkes Herz.“ Daß Frauen ihre Männer aushalten würden, so die Zeugin, „ist bei uns ganz normal“. Auch auf die Frage, ob der Vater seine Frau betrogen habe, hatte Snezana T. eine schlagfertige Antwort parat: Wenn verheiratete Männer in den Puff gingen, sei dies „doch kein Verbrechen“. Außerdem hätte die Mutter viele der polnischen Frauen selbst nach Berlin geholt und in der Reinigungsfirma als Putzhilfen beschäftigt. Auch die Enkel hätten sich gut mit dem Großvater verstanden.

Was die Enkel betrifft, hatte ein Polizeibeamter am ersten Prozeßtag etwas ganz anderes geschildert: Als er am Tattag in die Wohnung der Angeklagten gekommen sei, habe er dort eine schon fast gelöste Atmosphäre vorgefunden. „Oma hat Opa erschossen“, habe ihm die 12jährige Zlata beinahe freudestrahlend berichtet. Sein Eindruck sei gewesen, daß das Kind dies als schönstes Ferienerlebnis benennen würde, wenn es in der Schule Thema gewesen wäre. Plutonia Plarre