: Stiftis wundersame Reise ins Nichts Von Thomas Pampuch
Das Leben erteilt seine Ratschläge und Einsichten oft auf verschlungenen Wegen. Nationale Identität etwa offenbart sich unsereinem heutzutage (gottlob!) nicht im Stahlbad kriegerischer Auseinandersetzungen, nicht in Nationalfeiertagen, ja nicht einmal beim Gewinn irgendwelcher Weltmeisterschaften, sondern im Kleinen, im scheinbar Nebensächlichen, an Orten und Plätzen, die mit Flaggezeigen und Hymnensingen nichts, aber auch gar nichts zu tun haben. Auf dem Klosett zum Beispiel.
Es gibt wohl kaum einen Ort, wo das Deutschtum so auf den Punkt gebracht wird wie auf dem Abort. Wo andere Völker und Nationen ihr Produkt sofort und unwiderruflich in Löcher, gurgelnde Wasser und sonstige Schlünde entgleiten lassen, hat der Deutsche seit Jahrhunderten (und zum Befremden vieler Ausländer) anmutige Schüsselchen konstruiert, um seine Hervorbringung nach der Vollendung einer genauen Werkanalyse unterziehen zu können.
Der Deutsche will wissen, was die Welt (also auch ihn) im Innersten zusammenhält. Ihm wird die Toilette zum Labor, zur faustischen Studierstube und darum zuzeiten auch zum Ort der Demut: „Hier erkennst Du scharf, daß Du ein Mensch nur bist, der nichts behalten darf“ (so ein apokrypher Früh-Brecht).
Es hilft nicht, sich gegen dieses kulturelle Erbe zu wehren. Die um sich greifende Mode, WCs nach ausländischem Vorbild zu bauen, wird bitterlich bestraft. Ich weiß, wovon ich spreche. Geschah es doch, daß ich neulich in Berlin auf dem Balkon des großen Malers von Landschaften und Schweinchen, Michael Sowa, in ein Käsebrötchen biß und meinen Stiftzahn verschluckte. Mehrere umgehend telefonisch konsultierte Medizinerinnen beruhigten mich lieb und verwiesen mich auf den „natürlichen Weg“. Das Objekt (immerhin seine 700 Mark wert) würde bald wieder auftauchen. Dazu hätten wir ja jene Zwischenlandeplätze des Weltenlaufes.
Ehrfurcht überkam mich. Und Reue. Denn in meiner Münchner Wohnung, in die ich am nächsten Tag zurückkehrte, war vor kurzem das alte Schüsselmodell durch eine dieser südländischen „Plumps und weg“-Einheiten ersetzt worden. Und ich – Ausländerfreund bis zum Darmausgang – hatte es bejubelt! Dios castiga.
Eine Blumenschüssel mußte her, mich an mein Deutschtum zu gemahnen. Eine demütige Zeit der Auseinandersetzung mit meiner ideellen, materiellen und ja, auch nationalen Identität begann. Eine Zeit des In-mich-Hineinhorchens, der Rückbesinnung auf alte Werte, der Erkenntnis der Verschlungenheit alles Irdischen. Doch Gott strafte mich doppelt. Als Sowa fünf Tage später zu seiner wunderbaren Ausstellungseröffnung nach München kam, war Stifti immer noch nicht erschienen. Zum Spott kam der Schaden. Ratlos blicke ich in eine Welt voller Abgründe, voller Schlünde, eine Welt ohne Netz, ohne Innehalten. Alles fließt. Vielleicht habe ich es an Demut fehlen lassen. Vielleicht war mein Forschen zu lasch. Vielleicht aber hat Sowas Porzellanklo geheime Nischen. Künstler haben ein Gefühl für das Unvergängliche. Und verfügen über Techniken, es zu bewahren. Stifti, wo bist Du?
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