„Gleichgültigkeit und Heuchelei“

■ US-Senator Joseph Biden kritisiert Bosnien-Politik der EG / Aber auch in den USA ist bislang noch keine Entscheidung über eine Intervention gefallen

Washington (taz) —Es gab im Weißen Haus immerhin schon einen Arbeitstitel: „Lift and Strike“ — so sollte die Operation zur Bewaffnung der bosnischen Muslime heißen, wobei „lift“ für die Aufhebung des Waffenembargos und „strike“ für die gleichzeitig geplanten Luftangriffe gegen serbische Stellungen steht. Doch die Einsatzpläne sind vorerst in der Schublade, zum Teil wohl auch im Papierkorb verschwunden.

Nach Tagen verbalen Säbelrasselns hatte die Clinton-Administration am Anfang der Woche erklärt, alle weiteren Entscheidungen zu einem möglichen Eingreifen in Bosnien vorerst auf Eis zu legen und den Ausgang des Referendums der bosnischen Serben am kommenden Wochenende über die Annahme des Vance-Owen- Plans abzuwarten. Unterdessen machen Regierungsbeamte gegenüber der Presse ihrem Ärger über die europäischen Verbündeten Luft, die sich vor allem gegen die Aufhebung des Waffenembargos gesperrt und stattdessen die USA aufgefordert haben, sich doch mit Bodentruppen am Schutz von UN- Sicherheitszonen für bosnische Muslime zu beteiligen. Den Teil des US-Vorschlags, bei dem es um Waffenlieferungen gehe, könne man mittlerweile vergessen, erklärte ein Regierungsbeamter der „Washington Post“.

Andere wiederum gehen davon aus, daß die Clinton-Administration erneut die „Lift-and-Strike“- Option ihren Verbündeten anbietet, sollten die bosnischen Serben den Vance-Owen-Plan ablehnen. Die EG-Außenminister wollen abwarten, ob das von Serbien verhängte Embargo gegen die Verbündeten in Bosnien diese möglicherweise zum Einlenken bringt. Nach Angaben des „Wall Street Journal“ melden jedoch US-Geheimdienstkreise, daß weiterhin Schiffe über den Fluß Drina Öl nach Bosnien bringen.

Nun erwägt Clinton, doch Bodentruppen in den Balkan zu entsenden: Als Unterstützung für jene 800 Blauhelme, die inzwischen in Mazedonien stationiert sind, und dort die Grenzen zu Serbien und Albanien zu patroullieren. Klar ist, daß Washington die öffentliche Aufmerksamkeit vom Kriegsschauplatz Bosnien auf potentielle zukünftige Konfliktregionen lenken will: Die Stationierung einiger hundert US-Sodlaten als Blauhelme in Mazedonien, um den Konflikt nicht auf andere Regionen übergreifen zu lassen, ist der US-Öffentlichkeit sehr viel leichter zu vermitteln, als eine wie auch immer geartete militärische Intervention in Bosnien. Dafür, so haben in den letzten Tagen immer mehr US-Senatoren deutlich gemacht, gebe es auch im Kongreß zur Zeit keine Mehrheit.

Sich gegenseitig für die transatlantische Handlungsunfähigkeit in der Bosnien-Politik verantwortlich zu machen, ist in den letzten Tagen zum beliebten Spiel zwischen Washington und Europa geworden. Der demokratische Senator Joseph Biden, Mitglied des außenpolitischen Ausschusses und einer der stärksten Befürworter einer militärischen Intervention in Bosnien, machte am Dienstag keinen Hehl aus seiner Wut über die abwartende Haltung der Europäer: Was Christopher bei seinen Gesprächen mit europäischen Regierungsvertretern erlebt habe, sei ein „entmutigendes Mosaik aus Gleichgültigkeit, Ängstlichkeit, Selbsttäuschung und Heuchelei“. Weder Christopher noch wenig später Bill Clinton gaben irgendwelche Kommentare zu Bidens Ausführungen ab. Doch der Präsident dürfte inzwischen immer öfter seinen Vorgänger George Bush beneiden, der nach der irakischen Invasion Kuwaits noch vor drei Jahren NATO-Verbündete und die UNO wie auf Pfiff hinter sich und seinen General Norman Schwartzkopf scharen konnte.

Nur wenn Bill Clinton höchstpersönlich den Europäern seinen „Lift-and-strike“ Plan aufzwingen würde, so resümierte denn auch Außenminister Warren Christopher nach seinem erfolglosen Europatrip letzte Woche, könnte er vielleicht die Verbündeten zum Einlenken bringen. Doch erstens liegt dem US-Präsidenten ein solcher Politikstil überhaupt nicht; zweitens fehlt ihm im Fall Bosnien für ein solche Inititiave eine entscheidende Voraussetzung: Bill Clinton hat bislang offenbar weder für sich selbst, noch für die US-Öffentlichkeit die amerikanischen Interessen für ein Eingreifen in Bosnien definieren können. Er hat weder seine wöchentlichen Radioansprachen noch andere öffentliche Auftritte genutzt, um Motive und eine mögliche politisch-militärische Strategie deutlich zu machen. Andrea Böhm