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Gentechnik ist kein El Dorado

Nicht zu strenge Gesetze, sondern mangelnde Nachfrage und rote Zahlen sind schuld am mangelnden Erfolg der Gen-Manipulateure  ■ Von Manuel Kiper

Der Forschungs- und Wirtschaftsstandort Deutschland sei in Gefahr – das ist der Tenor der Kampagne, die die Industrie zur Aufweichung des Gentechnik-Gesetzes betreibt. Offenbar mit Erfolg: Gestern beriet das Bundeskabinett über die Gesetzesnovelle, mit der Genehmigungsverfahren und die Beteiligung der Öffentlichkeit bei den gentechnischen Anlagen der niedrigen Sicherheitsstufen wegfallen würden.

Die Gentechnologie erschien der Industrie lange als wahres El Dorado. Profit verheißende Marktprognosen wurden erstellt – aber in der Realität ist die ökonomische Bedeutung der Gentechnologie verschwindend gering. Da mußten Sündenböcke her. Jetzt soll die Schuld am geringen Erfolg der deutschen Gen-Manipulateure auf einmal just beim Gentechnik- Gesetz liegen, das die Industrie 1990 selbst durchgedrückt hatte, um die damalige Planungsunsicherheit zu beseitigen.

Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, daß der Standort Deutschland mitnichten durch ein zu enges gesetzliches Korsett in Gefahr ist. 1.300 Genlabors waren bereits genehmigt, bevor das Gentechnikgesetz in Kraft trat. Fast tausend Genehmigungsanträge wurden seitdem bei den Behörden gestellt – doch nur zwei Dutzend davon für eine gewerbliche Nutzung. Der Grund dafür ist offenbar der mangelnde Bedarf an den entsprechenden Produkten.

Spätes Interesse

Die deutsche Industrie hatte sich ohnehin erst spät, angeregt durch die Erfolge in den USA, in der Gentechnik engagiert. „Natürlich war man nicht in der Lage, den jahrzehntelangen Vorsprung der USA mit einem Schlag wieder aufzuholen“, war kürzlich im Verbandsorgan der chemischen Industrie zu lesen. In den achtziger Jahren begannen die deutschen Chemiekonzerne im Rahmen eines globalen Innovationsmanagements große gentechnische Forschungszentren zu errichten. So setzte sich etwa die Bayer AG zusätzlich zu ihren Standorten Wuppertal-Elberfeld (Pharmaforschung) und Monheim (Pflanzenforschung) in den USA in Berkeley und New Haven und seit kurzem in Japan fest. Auch BASF und Hoechst zog es in die USA und nach Japan.

Über mangelnde Förderung kann sich die bundesdeutsche Industrie nicht beklagen. Mit inzwischen jährlich annähernd 400 Millionen Mark Zuschüssen vom Bundesforschungsministerium im Rahmen des Programmes Biotechnologie 2000 schrumpfte inzwischen der hiesige Forschungsrückstand. Hinzu kommen die noch wesentlich höheren Mittel der Länder für die universitäre Genforschung und der Max-Planck- Gesellschaft für die Grundlagenforschung. Die Wirtschaft selbst trägt nur knapp 25 Prozent zu den Gesamtforschungskosten bei.

In Deutschland befinden sich mittlerweile neun der fünfzig weltweit führenden Einrichtungen auf dem Gebiet der Molekularbiologie; bei den Patenten liegt die Bundesrepublik mit etwa elf Prozent aller Anmeldungen auf Rang drei nach den USA und Japan, resümierte Ende letzten Jahres der Bundesforschungsminister.

Fehlende Nachfrage

Daß der deutsche Markt dennoch mit gentechnischen Produkten nicht überschwemmt ist, ist nicht Ausdruck einer innovationsfeindlichen Genehmigungspraxis, sondern Ergebnis fehlender Nachfrage. Beispielsweise ist das Rinderwachstumshormon BST europaweit zumindest vorläufig aus den Ställen verbannt. Gentechnisch erzeugte Arzneimittel erreichen gerade einen Anteil von ein bis anderthalb Prozent des Pharmaweltmarktes von rund 250 Milliarden DM. „Optimistische Marktprognosen der Vergangenheit“, so kürzlich das Resümee im Handelsblatt, „haben sich bisher nicht erfüllt.“

Trotz allem findet auch in der Bundesrepublik gentechnische Produktion statt. Seit Jahr und Tag stellt zum Beispiel die Carl Thomae AG in Biberach TPA her – dessen Wirksamkeit als angebliches Wundermittel gegen Blutgerinnsel jedoch umstritten ist. 14 gentechnisch hergestellte Arzneien sind auf dem bundesdeutschen Markt zugelassen, mehr als in den USA.

Im bayerischen Penzberg werden von der Boehringer-Tochter Knoll AG über 320 Diagnosemittel gentechnisch produziert. Auch die lang umstrittene Anlage der Hoechst AG zur Gewinnung von Humaninsulin ist seit Anfang dieses Jahres in Betrieb. Die Hoechst- Töchter Behring-Werke und Roussel-Uclaf wollen zukünftig gemeinsam Hirudin, einen blutgerinnungshemmenden Wirkstoff, produzieren. Daß Frankreich und nicht Deutschland der Produktionsstandort ist, liegt einzig und allein an den dortigen freien Kapazitäten. Von einem Firmensprecher wurde die Entscheidung aber als Folge der hiesigen bürokratischen Schwierigkeiten dargestellt.

Bürokratische Hindernisse können die Marburger Behringwerke erst recht nicht ins Feld führen. Die gentechnische Anlage ist längst genehmigt, doch dem Medikament, das dort hergestellt werden soll, fehlt die arzneimittelrechtliche Genehmigung, und um die Patente zur Produktion wird erst noch gestritten.

Daß die Industrie mit ihrer Gentechnologie kaum auf einen grünen Zweig kommt, hat mit zu strengen gesetzlichen Auflagen und behördlichen Schikanen zumeist also wenig zu tun. Dies zeigt auch das Beispiel der Firma Invitron, einer Tochter des US-Konzerns Monsanto, die in Hannover Europas größte Zellkultureinrichtung bauen wollte. Die Genehmigung wurde von den Behörden in einer Nacht-und-Nebel-Aktion erteilt. Invitron aber kam bis heute nicht – wegen roter Zahlen. Auch in Zukunft werden nicht gesetzliche Auflagen, sondern rote Zahlen im Gen-Geschäft die genmanipulative Euphorie der Industrie dämpfen.

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