Vom Dandy-Schmuck zum Suppentaucher

■ Geschichte der Krawatte: Wurde sie für den Krieg erfunden oder für den Strafvollzug? Heute herrscht der Einheitsknoten, aber dafür sind Schweineköpfe in

Die Krawatte entlarvt ihn. Binderlos ist er ein Muffel und gehört zu jenen fünfzig Prozent der Männer, die sich aus mysteriösen Gründen gegen den Trend sperren und nicht modebewußt zugeknöpft herumlaufen. Mit Schlips ist der Mann dagegen „in“, wie der jahrelang ständig wachsende Umsatz der Krawattenindustrie beweist.

Die psychologisch bedeutsame Frage heißt: Was für einen Schlips hat er um? Ist er einer der Seriösen, dem die Streifen und Paisleymuster dieses Jahr ihr rauschendes Comeback verdanken? Oder ist er einer der Offenherzigen, die ihr Ego und ihre Vorlieben per Krawatte verraten? Dann baumelt ihm als Fan ein stilisierter Harley-Davidson-Auspuff vor der Brust, die lächelnde Mona Lisa oder eine Stammtischrunde aus Gartenzwergen. Und die Frage, warum er eine Krawatte trägt, läßt sich ganz einfach beantworten: damit er nicht so alleine ist. Zur Zeit sind Krawatten mit Schweineköpfen der Renner.

Das hätten sich die englischen Dandies im 19. Jahrhundert nicht träumen lassen, deren Halstücher zu den Vorläufern der Krawatte gehören. Und auch die französischen Herren dieser Zeit brachten ihre Jabots, die Brustkrausen, sicher nicht mit Schweineköpfen in Verbindung. Während aber bei den Halstüchern oder frühen Krawatten vor hundert Jahren die Kunst noch im variationsreichen Binden und Verknoten lag, beschränkt sie sich heute auf das gedruckte oder handgemalte Motiv des Seiden- oder Polyesterstoffes. Mann legt sich die Schlinge im Einheitsknoten um den Hals. Und wozu ist diese Schlinge überhaupt gut? Mit ihrer derzeitigen Durchschnittsbreite von neun Zentimetern erfüllt sie zwar sehr gut die Aufgabe, Suppenspritzer vom Hemd fernzuhalten, macht aber gelegentlich auch einen ungewollten Taucher in die Suppe. Im Unterschied zu anderen Kleidungsstücken wärmt sie nicht die Bronchien. Überhaupt ist sie nicht immer gesundheitsfördernd, wie viele Kriminalstücke dokumentieren.

Andererseits aber praktisch: Die Krawatte hält den Kragen zusammen, falls der Knopf abzuplatzen droht oder sowieso schon fehlt. Sie eignet sich hervorragend zum Brillenputzen, wenn gerade keine Tischtuchdecke erreichbar ist, oder auch als Denkstütze und Spickzettel, weil sich auf ihrer Rückseite Wichtiges unauffällig notieren läßt.

Diese Vorteile waren jedoch nicht die Ursache der Entstehung der Krawatte. Darüber gibt es zwei widersprüchliche Theorien, die sich nur darin einig sind, daß der Name „Krawatte“ aus dem Französischen stamme. Nach der ersten Theorie sollen im Frankreich des 14. Jahrhunderts Bösewichter mit der Garotte, einem Halseisen, hingerichtet worden sein, wobei der Vollstreckungsbefehl geheißen haben soll: „Faites restraindre sa cravate!“ (Zieht ihm seine Krawatte zusammen!) Die zweite Ursprungslegende des Binders ist nicht so makaber. Danach soll die Krawatte nach den Kroaten benannt worden sein. Im 17. Jahrhundert fielen ihre im Dreißigjährigen Krieg kämpfenden Regimenter durch den einheitlichen Halsschmuck auf, der alsbald in Frankreich „croates“, abgewandelt dann „cravatte“ geheißen haben soll.

Auch wenn die wirtschaftliche Flaute anfängt, sich, wie in der gesamten Textilbranche, so auch in der Krawattenindustrie bemerkbar zu machen — was bei Preisen zwischen zwanzig und weit über hundert Mark für den schmalen Stoffstreifen verständlich ist –, wird die Geschichte des Langbinders so schnell nicht enden. Schließlich gingen im letzten Jahr in Deutschland fast 30 Millionen Exemplare über die Ladentheken. Nach dem leichten Rückgang Anfang des Jahres werden die Verkaufszahlen wohl spätestens zu Weihnachten — wie jedes Jahr — in die Höhe schnellen. Dann sind die Schlipse wieder Protagonisten unzähliger kleiner Tragödien über hastig gekaufte 0815-Geschenke, die Männe nie wieder anzieht. Es sei denn zu Weiberfastnacht. Gudrun Reuschel