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Das „zweite Bein“ des Afrika-Korps

Das Material ist schon da, heute folgen die ersten Pioniere. Kritiker bezeichnen den beginnenden UNO-Einsatz deutscher Soldaten in Somalia als „Etikettenschwindel“: Von einem rein humanitären Einsatz der Deutschen könne keine Rede sein.

Selten waren sich Soldaten, Kir chenleute und Sozialdemokraten so einig, wie jetzt in ihrer Kritik am Somalia-Einsatz der Bundeswehr. Es sei „ein Etikettenschwindel“, rügt der Bundeswehr-Verband, aus der Afrika-Expedition einen humanitären Einsatz „zu konstruieren“. Pfarrer Hans Otto Hahn, Direktor des Diakonischen Werks, erkennt in dem Einsatz bestenfalls „gutgemeinten Aktionismus“ und auf alle Fälle „kein Modell“ für eine humanitäre Rolle der Bundeswehr. Und auch für den SPD- Verteidigungsexperten Walter Kolbow ist die deutsche Somalia- Expedition „eindeutig“ ein erweiterter Blauhelm-Einsatz und „keineswegs eine humanitäre Aktion“.

Zu diesem Urteil konnten die Kritiker kommen, nachdem die deutschen Militärs in den letzten Wochen freimütig ausgeplaudert hatten, zu welchem Zweck die 1.600 deutschen Soldaten wirklich an das Horn von Afrika geschickt werden. „Der Schwerpunkt“, so der kommandierende General Peter Carstens kürzlich in Koblenz, sei eindeutig der Transport von Nachschub für die 30.000 Soldaten der UNO-Verbände. Auch Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) machte am Mittwoch keinen Hehl aus den militärischen Aufgaben seiner Somalia-Truppe. Natürlich werde sie auch „für die Versorgung mit Munition und Waffen zuständig“ sein, räumte er ein. Das „zweite Bein“ sei dann die konkrete Hilfeleistung, beeilte sich der Minister hinzuzufügen, ohne freilich diesen Teil der Aktion näher beschreiben zu können. „Ich weiß ja nicht, welche Brücke da repariert werden muß.“

Die logistische Funktion des deutschen Afrika-Korps war es letztlich auch, die den UNO-Kommandeur in Somalia bewegte, die Bundeswehr nach Zentral-Somalia zu schicken, in die Nähe von Belet Uen, 300 Kilometer nördlich von Mogadischu. Im Nordosten, wo die Deutschen sich ursprünglich niederlassen wollten, gibt es in absehbarer Zeit keine Truppen, die versorgt werden müßten und die daneben auch für einen militärischen Schutz der Deutschen hätten sorgen können.

Die Ankunft der indischen Truppen, die dort stationiert werden sollen, wird sich um Monate verspäten. „Es hätte keinen Sinn gemacht“, so Rühes klarsichtige Erkenntnis, „wenn wir monatelang auf die Inder gewartet hätten.“ Nun muß das deutsche Vorauskommando die Gegend um Belet Uen erkunden. Ende des Monats will Rühe dann endgültig über Zusammensetzung und Ausrüstung des Hauptkontingents entscheiden, das Anfang August vor Ort eintreffen wird. Mit ziemlicher Sicherheit werden die „Engel von Belet Uen“, wie Rühes PR-Leute sie sicher bald nennen werden, den Radpanzer „Fuchs“ und den kleinen Kettenpanzer „Wiesel“ dabei haben. Er ist mit Panzerabwehrraketen des Typs Tow ausgerüstet, wie sie Engel halt zuweilen brauchen, „um abzuschrecken“ (Rühe).

Für Hilfseinsätze beim Straßenbau und der Reparatur von Brunnen sei die Bundeswehr überhaupt nicht ausgerüstet, hatte Diakonie- Mann Hahn noch dieser Tage kritisiert. Mit dem Verweis auf die militärischen Aufgaben der deutschen Soldaten konnte Rühe diese Anwürfe jetzt mühelos kontern. „Kann die Diakonie“, fragte der Minister hämisch, „die indische Brigade versorgen?“ Andersherum werde ein Schuh daraus: Die Bundeswehr schaffe jetzt für die Hilfsorganisationen den „Freiraum für normale Entwicklungshilfe“.

Peinlich für Rühe ist ein anderer Einwand der Militärkritiker. Als Somalia im Frühjahr 1991 Lebensmittelhilfe brauchte, weigerte sich die Bundesregierung, Hilfsflüge zu finanzieren. Damals sah zwar auch das Auswärtige Amt, so seine Antwort an den SPD-Bundestagsabgeordneten Gernot Erler, „ein dringendes Bundesinteresse“ an Hilfsflügen. Dennoch konnte es „nach Abwägung der gesamten Anforderungen keine Mittel zur Verfügung“ stellen.

Jetzt, wo es um die Entsendung von Soldaten geht, spielt Geld keine Rolle — obwohl es eigentlich gar nicht vorhanden ist. Mindestens 186 Millionen Mark wird die Somalia-Aktion den deutschen Steuerzahler kosten. Mehr als die Hälfte dieser Summe, nämlich 100 Millionen, sind im Haushalt noch nicht eingeplant. Sie müssen erst durch Einsparungen im Verteidigungsetat und in anderen Ressorts erwirtschaftet werden. Gar nicht erst eingerechnet sind die Aufwendungen, die der Unterhalt der Truppe sowieso verschlungen hätte. Dauert der Einsatz länger als die bis jetzt veranschlagten sieben Monate, steigen die Kosten entsprechend. Zum Vergleich: Für die humanitäre Somalia-Hilfe, für Hilfsflüge und Nahrungsmittel, wendete die Bundesregierung in diesem und dem letzten Jahr zusammen 122 Millionen Mark auf. Hans-Martin Tillack, Bonn

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