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Nachschlag

■ Fleißers „Tiefseefisch“ im Saalbau Neukölln

Müde bin ich, geh' zur Ruh, schließe beide Äuglein zu. Und dann kommt das Sandmännchen und erzählt eine Geschichte: von einem Schauspieler und einer Schauspielerin, die auszogen, sich zu lieben und zu hassen. Doch Sado/Maso, wie vom Stück verlangt, das ist nichts für sie, das geben sie nicht her. Sie können nicht hassen, denn sie sind brav und blutleer, sie können nicht lieben, denn das war schon zur Schulzeit verboten. Und sowieso nicht auf der Bühne! Sie, Madonna in Kackbraun, läßt sich von ihm, dem vorzeitig ergrauten Buchhaltertyp, doch nicht anfassen! Vor allen Leuten. Igitt!

Finstere Nacht muß in Marieluise Fleißers Seele geherrscht haben, daß sie in ihrem Stück „Tiefseefisch“ aus dem Jahre 1930 die Heldin in grellem Weiß ausleuchten mußte – und den Kerl in den schwärzesten Schatten stellte. Grobe Scherenschnitte ersetzen vielschichtige Menschen. Klischees lassen grüßen: Gut-Böse, Abhängigkeit-Macht, Frau-Mann.

Das ältliche Pärchen auf der Bühne bringt Fleißers Schlaflied zur Vollendung; aus ihren Scherenschnittfiguren zaubern sie im Neuköllner Saalbau flugs einen Holzschnitt. In ihrer rührenden Unschuld spielen sie Liebesszenen verkrampfter als Vierzehnjährige. Gemeinheiten werfen sie sich mit größter Gleichgültigkeit an den Kopf, die Sprache fließt gleichmäßig fade dahin – ein großer grauer Grießbrei, wie ihn Kinder vorm Schlafengehen löffeln. Gesines Liebhaber ist unwiederstehlich wie eingeschlafene Füße, sie von blöder Apathie. Als sie ihn verläßt, klingt ihr „ich gehe jetzt“, als ginge sie zu Aldi.

Gott sei Dank hat Sandmännchen seinen Job satt. Ja wirklich, der Sprung nach ganz oben ist geglückt, Sandmännchen hat die Schauspieler der sozialen Künstlerförderung, die das Stück produzierte, abgeworben und engagiert: Sie streuen jetzt Sand in die Augen der Zuschauer und streuen Sand und streuen... krrr... Pitschpüüh, krrr... Pitschpüüh...

Der Rücken schmerzt, der Stuhl knarzt, die Luft drückt, ein Alptraum trübt den Halbschlaf: Ein gigantischer, lila gewandeter Busen wackelt, was er wackeln kann. Lila, der letzte Versuch. Wer ist das trippelnde Dummchen wohl? Die Sekretärin natürlich, wie konnten wir einen Augenblick daran zweifeln? Nach erstem Entsetzen wiegt sie uns an ihrem weichen Busen in süßere Träume. Uns träumt vom Sandmännchen, welches gnädig den Vorhang des Vergessens ausbreitet, den Schauspielern rosa Rosen und Nelken ausstreut und uns endlich schlafen läßt. Ruhe sanft! Uta von Armin

Marieluise Fleißer: „Der Tiefseefisch“ im Saalbau Neukölln, Karl-Marx-Straße 141. Weitere Vorstellungen: 16., 19.–23., 26.–31.5., jeweils 20 Uhr

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