"Wir haben den Spieß einfach umgedreht"

■ Streit um Mädchentreff in Heimfeld-Nord / Harburger Jugendamt verlangt vom Trägerverein Angebote auch für Jungs

in Heimfeld-Nord / Harburger Jugendamt verlangt vom Trägerverein Angebote auch für Jungs

Alltagsidylle im sozialen Brennpunkt Heimfeld. Die Sonne scheint, die Rotdornhecken blühen. Vor dem türkischen Gemüseladen in der Friedrich-Naumann- Straße, in dem es von der Knoblauchwurst bis zum Video fast alles gibt, sitzen zwei Jugendliche im Kadett und hören Radio. Direkt daneben auf dem Fußweg spielen Esra, Ismail und ihre Freunde Springtau. Jungs und Mädchen zusammen, das ist für die fünf- bis zehnjährigen noch kein Problem.

Der Kinderladen der Deutsch- Ausländischen Arbeitsgemeinschaft (DAAG) ist an diesem Nachmittag gut besucht. Am Kicker drängeln sich mehrere Jungs, unter ihnen der dreizehnjährige Ali Erikli. „Blöd natürlich“, antwortet er auf die Frage, wie er es denn findet, daß der benachbarte Jugendtreff seit einer Woche für Jungs tabu ist. Die Antworten muß man ihm ein bißchen aus der Nase ziehen. „Wir wollen auch so einen Platz, einen Jungentreff“, sagt er schließlich. „Wir“, das sind zunächst sechs Jungs, die für den Kinderladen zu alt geworden sind.

Eine Gruppe, für die es in Heimfeld-Nord kein Angebot gibt, seit aus dem Jugendtreff der DAAG ein Mädchentreff geworden ist. Die Resonanz auf die feierliche Eröffnung vor zehn Tagen war unerwartet negativ. Sie fühlten sich ausgegrenzt, ihnen sei ein wichtiger Treffpunkt genommen, sprachen zwei ältere Jugendliche dem Reporter einer Lokalzeitung aufs Tonband. Auch Harburgs Jugendamtsleiter Holger Reinberg zeigte sich verärgert über den „Alleingang“ dieses freien Trägers: „Wir erwarten, daß uns bis Mitte nächsten Monat konkrete Vorschläge unterbreitet werden, welche Angebote männlichen Jugendlichen gemacht werden sollen.“

„Daß wir bisher für Mädchen nichts angeboten haben, hat das Jugendamt nicht gekümmert“, kontert DAAG-Mitarbeiterin Nese Görgü. Der 50 Quadratmeter-Laden sei zu klein für beide. Nachdem die letzte männliche Gruppe herausgewachsen war, habe man den Spieß eben umgedreht.

Die Sozialpädagogin Görgü leitet seit drei Jahren den Jugendtreff, der eigentlich immer ein Jungstreff war. Ihre Versuche, wenigstens einen Mädchentag einzurichten, seien gescheitert: „Das haben die Eltern nicht mitgemacht“. Türkische Mädchen, die sich in einen Männertreff begeben, gelten als verrucht.

„An so einem Treffpunkt, wo auch Männer hinkommen, würde ich mich nicht wohl fühlen“, sagt Noran, an diesem Nachmittag die erste Besucherin. Die Mädchen haben die Räume verändert, frisch gestrichen, weiblicher gestaltet. Kikker und Tischtennisplatte wurden abmontiert, eine Spiegelwand für Tanz-Kurse installiert. Noran ist früher nie im Jugendclub gewesen. Wie für die meisten ihrer türkischen Freundinnen beschränkte sich ihre Freizeitgestaltung auf Einkaufsbummel in der Harburger City und diszipliniertes Zuhausebleiben.

Noran hat ein Problem, ist an diesem Nachmittag extra früher gekommen. Weil sie schlecht Deutsch konnte, ist sie in Heimfeld zur Sonderschule gegangen. Nun will die 16jährige ihren Hauptschulabschluß machen. Doch weiß sie nicht, ob ihr Vater den längeren Schulweg gestattet. Auch ihre Lehrerin hat abgewunken, gesagt, sie solle doch bei „Penny“ arbeiten, dafür brauche man keinen Schulabschluß. „Manchmal wundere ich mich, was die Lehrer alles falsch machen“, sagt Nese Görgü. Doch auch die Eltern üben Druck auf die Mädchen aus, aus Angst, sie würden sich zu sehr der deutschen Kultur anpassen. Görgü: „Die Mädchen brauchen Hilfe. Jemanden, dem nicht egal ist, was aus ihnen wird.“ Die Umwandlung des Treffs

1soll auch für Eltern und Brüder ein Signal sein, nicht immer die Jungs an die erste Stelle zu stellen.

Doch neue Konzepte beschließen ist das eine, sie umsetzen das andere. „Wir kommen den vielfältigen Anforderungen an eine Jugendeinrichtung überhaupt nicht nach“, räumt Jugendamtsleiter Reinberg ein. Der Bezirk bemühe sich um die formale Anerkennung Heimfelds als sozialer Brennpunkt. Es müsse eine Verbesserung der sozialen Infrastruktur, einen neuen Jugendtreff geben. Nur, bis dahin müsse die DAAG für beide Gruppen etwas anbieten. Der Träger ist aufgefordert, zur Jugendhilfeausschußsitzung am 2. Juni ein Konzept vorzulegen.

Nun läuft alles auf einen Jungsabend hinaus, einmal die Woche im Kinderladen. Die beiden Mitarbeiterinnen stimmen dem zähneknirschend zu. „Wir bieten diese Notlösung an, weil wir den Mädchen-

1treff wichtig finden“, sagt Erzieherin Iris Bisalski. Aber Jugendliche, die einmal die Woche kommen, kämen prompt am nächsten Tag wieder. Das sei ein Erfahrungswert. Schon nach einer Woche seien sie

1gezwungen, ältere Jungen rauszuschmeißen, weil sie sich langweilen und die jüngeren traktieren. Jungs bleiben eben nicht einfach still und leise zu Hause. Das ist das Dilemma. Kaija Kutter