Rätselraten um das Attentat von Rom

Nobelviertel in Italiens Hauptstadt von Bombe erschüttert / War es die Mafia? Wollen Rechtsextreme und/oder Geheimdienstkreise eine neue „Strategie der Spannung“?  ■ Aus Rom Werner Raith

Gianni D'Amero kann sich noch immer nicht mit der Sachlage abfinden: „Mit so einem mickrigen Ding“, wundert er sich immer wieder, „haben die eine Streuwirkung erzielt, die man mit dem zehnfach stärkeren Sprengsatz auch nicht stärker hätte haben können.“ D'Amero kennt sich aus: Er ist erfahrener Feuerwerker und hat alle großen und kleineren Bombenattentate der letzten dreißig Jahre rekonstruiert. Aber „so etwas“ ist ihm noch nicht vorgekommen: Gerade mal zwei oder drei Dutzend Kilo Dynamit haben die Attentäter nach ersten Schätzungen verwendet, doch noch in 400 Meter Entfernung sind die Fenster im 4.Stock geborsten. Gut drei Dutzend Kraftfahrzeuge liegen noch immer verkohlt oder auseinandergerissen an der Via Ruggero Fauro herum; die Sprengexperten stochern weiter in den Trümmern, um ein Indiz auf den Auslösemechanismus der Explosion zu finden, bisher vergebens.

Der Krater, den der Knall am Freitag abend, zwanzig vor zehn, gerissen hat, hat vielleicht eineinhalb oder zwei Meter Durchmesser, nicht einmal einen Meter Tiefe; sichtbar sind einige Wasser- und Abwasserrohre und zwei oder drei Kabelführungsschächte. Aber „gerade das hat die Fernwirkung ausgelöst“, belehrt uns Sprengmeister D'Amero: Die Druckwirkung ist unterirdisch losgebraust und hat die Demolitionen der Häuser von innen heraus bewirkt. Die Sprengfachleute vermuten, daß die Bombe möglicherweise in einem Serviceschacht der Telefon- oder Elektroleitung versteckt war. Jedenfalls stand über dem Schacht ein Kraftfahrzeug, das völlig zerfetzt wurde. Auf der Straße wurde jedoch kaum jemand ernsthaft verletzt. 23 Personen wurden in Kliniken gebracht, bis auf eine sind mittlerweile wieder alle entlassen.

Um so intensiver hat das Rätselraten eingesetzt, wer sich da bemerkbar gemacht hat oder wer getroffen werden sollte. Kurz vor der Explosion hat der Wagen des bekannten Talkshow-Masters Maurizio Costanzo die Stelle passiert – das Fahrzeug und seine Eskorte wurden noch leicht in Mitleidenschaft gezogen. Das ist bisher der einzige Anhaltspunkt: Costanzo kam gerade von der Aufzeichnung seiner täglichen Abendshow im nahen Theater Parioli, und diese nimmt in den letzten Monaten immer massiver die Mafia und andere Untergrundorganisationen aufs Korn. Andererseits war Costanzo vor zehn Jahren durch seine Mitgliedschaft in der illegalen Geheimloge „Propaganda 2“ bekannt geworden. Auch seinerzeit war schon mal ein Journalist ermordet worden, der der Loge angehörte, sich dann aber mit Enthüllungen über die Leiter des von Militärs und Geheimdienstlern, Medienzaren und Politikern getragenen Bundes unbeliebt gemacht hatte.

Daß das Attentat in Rom besondere Unruhe ausgelöst hat, hängt nicht nur mit dem plötzlichen Erwachen aus jahrelanger Ruhe zusammen – es liegt vor allem daran, daß der Anschlag im allerfeinsten Viertel der Hauptstadt erfolgt ist, und da werden natürlich alle Hebel in Bewegung gesetzt, die aufgescheuchten VIPs wieder zu beruhigen.

War es nur Zufall, daß just am Freitag gleich drei wichtige Vorgänge im Zusammenhang mit dem Kampf gegen die Mafia öffentlich wurden? Zum einen fand ein großer Kongreß von Managern und Anti-Mafia-Experten unter dem Titel „Mafia und Unternehmertum“ statt, auf dem Strategien zur Entflechtung von Politik und Dunkelmännertum erörtert wurden. Dann warnte am Freitag Innenminister Mancino vor der „Gefahr neuer Attentate durch kriminelle Gruppen, die nach den zahlreichen Verhaftungen ihrer Bosse Zeichen dafür geben müssen, daß sie noch existieren“. Kurz danach bestätigte der Generalkoordinator für die Staatsanwaltschaft im Kampf gegen das organisierte Verbrechen, Bruno Siclari, daß es „nicht nur vage, sondern ganz konkrete Hinweise auf geplante Attentate mafioser Banden in ganz Italien gibt“.

Dieses Konzert warnender Stimmen lenkt nun fast automatisch die Ermittlungen vor allem in mafioser Richtung. Zweifel sind allerdings angebracht: Es wäre das erste Attentat dieser Schwere, das die Mafia außerhalb Siziliens begeht – was andererseits allerdings eine Anzahl offenbar dilettantischer Details erklären könnte: wie etwa die amateurhafte Anbringung des Sprengsatzes oder die Auslösung der Detonation, ohne daß eine bestimmte Person getroffen wurde, auf die es die Mafia bestimmt abgesehen gehabt hätte.

Unmittelbar nach dem Attentat waren noch andere Hypothesen gehandelt worden, so etwa eine „Warnung“ exjugoslawischer Gruppen vor einem Eingreifen jenseits der Adria – also eine Bestärkung der aus Serbien und Bosnien eingelaufenen Drohungen mit Raketenüberfällen auf Italien, sollten von dort Kampfflugzeuge aufsteigen.

Auch eine Provenienz aus dem Orient, wie bei früheren Attentaten, scheint den Ermittlern nicht sonderlich glaubhaft, schließlich befinden sich in dem Gebiet weder Botschaften oder Konsulate noch Wohnungen hochrangiger Exilpolitiker.

Bliebe noch eine Möglichkeit: daß deviante Kreise von Geheimdiensten und/oder rechtsextremistischen Klüngeln eine neue „Strategie der Spannung“ wie in den 60er und 70er Jahren einleiten wollen. Eine nicht ganz unwahrscheinliche Hypopthese: Derlei Gruppen könnten sich einerseits die offenkundige Unfähigkeit der Politiker zur Meisterung der schweren wirtschaftlichen und moralischen Krise, andererseits die sich täglich steigernde Unzufriedenheit der Bürger mit ihrer Herrscherkaste zunutze machen und das Land diktaturreif bomben wollen.

Der Gedanke scheint den Ermittlern und den verantwortlichen Politikern freilich so beunruhigend, daß sie ihn – bisher jedenfalls – lieber nicht öffentlich erörtern.