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Kuschel-Male für den Holocaust

Steglitzer CDU, FDP, Reps und BürgerInnen machen Front gegen geplantes und preisgekröntes „Denkzeichen“ vor ehemaliger Synagoge  ■ Von Ute Scheub

Steglitz. Ein lang geplantes „Denkzeichen“ mit den eingravierten Namen von rund 3.000 ermordeten Steglitzer Juden wird auf dem Hermann-Ehlers-Platz womöglich nicht errichtet. Grund: Die Bezirksfraktionen von Reps, CDU und FDP mobilisieren gegen das Mahnmal vor einer ehemaligen Vereinssynagoge, nach ihrem Erbauer „Haus Wolfenstein“ genannt. Bei einer BVV-Sitzung am 16. Juni zum Thema wollen sie seine Realisierung womöglich gemeinsam verhindern. Auf FDP- Flugblättern und in CDU-Bezirkszeitungen wird der nach einem öffentlichen Wettbewerb preisgekrönte Denkmalsentwurf als „neue Mauer“ und Ergebnis „theatralischer Schuldgefühlskoliken“ schlechtgemacht.

Daß dieses Verhalten eine unselige Tradition des Wegschauens und Verdrängens in Steglitz fortsetzt, darauf sind die Bezirkspolitiker noch nicht gekommen. Schon Anfang der 30er Jahre erhielt die NSDAP hier weitaus mehr Wählerstimmen als im Berliner Durchschnitt, dementsprechend siedelten sich hier auch überproportional viele NS-Institutionen an. Die 1897 von Kaufmann Moses Wolfenstein begründete Synagoge in der Düppelstraße wurde in der Reichspogromnacht im November 1938 bloß deshalb „nur“ geplündert und nicht in Brand gesteckt, weil das die benachbarte „arische“ Tischlerei gefährdet hätte. Die Bemühungen der 1987 gegründeten „Initiative Haus Wolfenstein“, das Haus als eines der wenigen noch vorhandenen Zeichen früheren jüdischen Lebens in Steglitz öffentlich zu nutzen, scheiterten am jetzigen Eigentümer. Der verbaute den öffentlichen Zugang mit einem Geschäftshaus und wollte die Hinterhaus-Synagoge gar zugunsten einer Tiefgarage abreißen. Erst ihre Eintragung ins Denkmalbuch hinderte ihn 1990 daran.

Zwei Jahre später zog das Bezirksparlament die Konsequenz aus diesem Skandal und ließ einen Kunstwettbewerb für ein Mahnmal vor der Synagoge ausrichten. Gewinner waren Wolfgang Göschel und Joachim v. Rosenberg mit ihrem Entwurf für eine Spiegelwand: Sie soll einerseits Betrachter und Umgebung spiegeln und andererseits diesen „eitlen Blick“ durch die Konfrontation mit den eingravierten Namen Deportierter brechen. Das Verfahren verlief, wie es sich gehörte: Alle BVV-Fraktionen wurden zu den Sitzungen der Jury eingeladen, allerdings nutzten nur SPD und AL das Angebot; die Wettbewerbsergebnisse wurden in einer öffentlich angekündigten Ausstellung im letzten Oktober vorgestellt und von 300 Steglitzern begutachtet.

Doch mitten im Frühling entdeckten FDP und CDU plötzlich den Populismus. Weil sie Preisvergabe und Ausstellung verpaßt hatten, behaupteten die FDP-Fraktionäre auf Flugblättern unter anderem, das Verfahren sei „ohne Beteiligung“ von Politikern und Bürgern abgehalten worden. Diese aber sei notwendig, damit das Mal nicht als „Fremdkörper“, sondern als „Beitrag zur Aufarbeitung der Steglitzer Geschichte“ begriffen werde. Die FDP-Vorstellung vom Aufarbeiten: An die ehemalige Nazihochburg Steglitz dürfe keinesfalls erinnert werden, das sei nur „das Pflegen alter Vorurteile“.

Noch deutlicher wurde die CDU. Der für Herbst geplante Umbau des Hermann-Ehlers-Platzes könne „zu einer echten Verschönerung“ führen, forderte die CDU-Zeitung Der Lichterfelder ihre Leser zur Stellungnahme heraus, „wenn jetzt nicht beabsichtigt wäre..., eine 11 Meter lange und 3,5 Meter hohe Wand zu errichten“, die zudem zu „widerlichen Schmierereien“ einlade. Das Echo auf diese verzerrte Darstellung war wohl wie erhofft. Tenor der Vox populi: „Wir wollen keine neue Mauer“, auch wenn – oder vielleicht gerade weil – diese ein Spiegel sein soll. Das Vorhaben sei „überflüssig“ und „zu teuer“, es gebe schon „genügend Gedenkstätten“, hier würden „Schuldgefühlskoliken theatralisch“ vorgespielt, die Mauer diene „den Verbrechern als gutes Versteck für geplante Überfälle und Drogenhandel“. Nur der AL-Bezirksverordnete Günter Schlusche mahnte: Ein „kuscheliges Denkmal an die Opfer des Holocaust wird nicht zu kriegen sein“.

Einen Erfolg hat der Druck der Fraktionen schon gezeitigt: Die angeblich nichtöffentliche Ausstellung wurde im März wieder aufgebaut. Peinlich aber für die Anhänger eines Kuschel-Mals: Die große Mehrheit der Besucher, die auch diesmal die Anzahl von 300 nicht überstieg, äußerte sich in den Eintragungen positiv über die Entwürfe. Die Steglitzer sind also vielleicht doch weniger tumb als ihre Volksvertreter.

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