: Keine Überraschungen zu erwarten
■ Interview mit IG-Metall-Bezirksleiter Horst Wagner zu den laufenden Tarifverhandlungen in der Elektro- und Metallbranche
Berlin/Potsdam. In den Ostberliner Betrieben wurde gestern nach Auskunft des 2. Bevollmächtigten der IG-Metall-Verwaltungsstelle Berlin, Siegfried Masson, die Aussetzung des Streiks nach dem sächsischen Tarifkompromiß sehr unterschiedlich aufgenommen: „Die Stimmung ist kritisch.“ Betriebe wie AEG-TRO, Berliner Werkzeugmaschinenfabrik und Fahrzeugausrüstungs-Werk Berlin sollten eigentlich am Montag in den Streik treten. Der Kompromiß, der am Samstag von der Großen Tarifkommission der IG Metall nicht mitgetragen wurde, sieht eine Anhebung der Löhne und Gehälter auf 80 Prozent des Westniveaus erst für Dezember dieses Jahres vor. Zudem soll die volle Lohnanpassung statt wie ursprünglich geplant im April 1994 nunmehr Ende 1996 folgen.
Unmut erregte nach Angaben von Masson die um einige Monate hinausgeschobene Einführung der 80-Prozent-Anhebung bei den Beschäftigten, die von Entlassung bedroht seien: „Sie brauchen die Anhebung, denn danach berechnet sich schließlich die Höhe ihres Arbeitslosengeldes.“ Die sächsische Einigung sei wegen der unmittelbaren Nähe des Westtarifgebietes nicht übertragbar: „Wir sind hier nicht einige hundert Kilometer, sondern nur einige hundert Meter von Westlöhnen entfernt.“ Heute gehen die Verhandlungen zwischen Arbeitgebern der Elektro- und Metallbranche und der IG Metall weiter.
taz: War die Ablehnung durch die Große Tarifkommission der IG Metall für Sie nicht eine Überraschung?
Horst Wagner: Nein. Ich wußte, daß die Erwartungen in Berlin und Brandenburg ganz andere als in Sachsen sind. Es bleibt festzuhalten: Der politische Kern des Kompromisses – die Rücknahme der Kündigung und die Einführung eines Stufentarifvertrages – ist ja auch am Samstag nicht kritisiert worden. Allerdings sein materieller Inhalt: Die Berliner und Brandenburger Beschäftigten wollen die ursprünglich vorgesehene Anhebung auf 80 Prozent am 1. April entsprechend dem alten Tarifvertrag und erwarten auch eine frühere hundertprozentige Angleichung ihrer Löhne.
Wie geht es nun weiter?
Die Tarifverhandlungen werden heute früh fortgesetzt. Ich vermute, daß die Arbeitgeber streng an der sächsischen Linie festhalten werden. Wir werden ein wie immer geartetes Ergebnis haben – das ist noch kein Vertrag. Über das Ergebnis wird dann die Tarifkommission zu beraten haben. Anschließend wird die Entscheidung, wie es die Tarifkommission und ich erbeten haben, einer Urabstimmung in den Berliner und Brandenburger Metall- und Elektrobetrieben unterzogen werden.
Wird es große Unterschiede zwischen den Verträgen in Berlin- Brandenburg und Sachsen geben?
Das glaube ich nicht, obwohl wir uns gegenwärtig darum bemühen. Interview: Severin Weiland
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