: Offener Brief
■ an die Bundestagspräsidentin Frau Prof. Dr. Rita Süssmuth
an die Bundestagspräsidentin Frau Prof. Dr. Rita Süssmuth
betr.: „Mutter mit totem Sohn“ in der Bundesgedenkstätte Berlin
Sehr geehrte Frau Bundestagspräsidentin,
durch den Einsatz der Bundeswehr in Somalia erhöht sich die Gefahr, daß militärische Eingriffe wieder zum Mittel der deutschen Außenpolitik werden. Gleichzeitig beabsichtigt die Bundesregierung ohne öffentliche Ausschreibung und ungewöhnlich schnell, die Schinkelsche Neue Wache in Berlin, wie erstmals im NS, zur zentralen Stätte offizieller Kranzniederlegungen in Deutschland zu bestimmen und die Plastik von Käthe Kollwitz „Mutter mit totem Sohn“ dort aufzustellen.
Die Skulptur wird häufig der Ausgestaltung der Neuen Wache durch Tessenow entgegengesetzt: Ein Steinquader repräsentierte dort von 1931 bis in die fünfziger Jahre den „vaterländischen Altar“. Er stand nicht nur für die Erinnerung an die getöteten Staatsbürger, sondern auch für die Wiederholung staatlicher Opferinszenierung nach dem Grundsatz: die Männer opfern ihr Leben und die Frauen ein Leben lang.
Die Plastik der Kollwitz droht uns diese Todessymbolik vertrauter zu machen. Die Figur der sich beugenden Frau, die über ihren im Krieg getöteten Sohn trauert, soll als Mutter, als profanierte Madonna, jetzt zum neuen nationalen Leid-Bild werden, unter dem alle Opfer und alle Täter gleichermaßen aufgehoben sein sollen: Juden, Kommunisten und Christen, politisch, religiös und rassisch Verfolgte, Behinderte, Schwule und die NS-Mehrheit der damaligen Bevölkerung Deutschlands.
Sieht man sich die zahlreichen Kriegerdenkmäler mit trauernden Müttern der Weimarer Republik an, so wird deutlich, wie über sie Opferbereitschaft fixiert wurde. Dies wird in dem aktuellen Konzept des Herrn Bundeskanzler und Herrn Stölzels für die Neue Wache fortgeschrieben. Trotz aller Schmerzen soll „die Frau“ Vorbild sein, sich aus Staatsräson in das angeblich Unausweichliche zu fügen, die Söhne in den Krieg zu schicken und danach über Mord und Tod zu trauern, Verwundete zu pflegen und erneut zu gebären.
Schon Käthe Kollwitz hat sich nach schweren psychischen Konflikten über ihre Schuld, den eigenen Sohn in den Kriegstod geschickt zu haben, von dem jetzt hier zu vergrößernden Bild der profanen „Pietà als Zeichen staatlicher Opferbereitschaft für den Krieg distanziert. Sie meißelte statt dessen ein trauerndes Elternpaar und wehrte sich politisch aktiv gegen einen erneuten Krieg und gegen den Nationalsozialismus.
In Anbetracht einer gegenwärtigen, besonders die Frauen diskriminierenden Arbeitsmarktpolitik, wachsender Arbeitslosigkeit, besonders der Töchter und Söhne unserer Generation, der erzwungenen Rückkehr vieler Mütter ins Privatleben wirkt die neuerliche Propagierung eines Symbols alles hinnehmender Opferbereitschaft der Frau zynisch.
Wir fordern Sie, Frau Bundestagspräsidentin, daher auf, die Inszenierung zur Opferbereitschaft in der Schinkelschen Neuen Wache, sei es durch Tessenows „Altar des Vaterlandes“, sei es durch die Aufstellung der Kollwitz-Skulptur, zu verhindern. Wir wehren uns gegen eine Kunstinstallation, die über ein Altarsymbol und/oder ein opferbereites Mutterbild in der Mitte Berlins den Kriegstod als eine unweigerliche Folge deutscher Politik wieder akzeptabel erscheinen läßt. Prof. Dr. Renate Berger, Berlin; Prof. Dr. Susanne von Falkenhausen, Berlin; Dr. Daniela Hammer-Tugendhat, Wien; Prof. Dr. Jutta Held, Osnabrück; Prof. Dr. Konrad Hoffmann, Tübingen; Dr. Kathrin Hoffmann-Curtius, Tübingen; Prof. Dr. Ulrich Kuder, Osnabrück; Dr. Helga Möbius, Berlin; Doris Noell-Rumpeltes, Heidelberg; Prof. Dr. Harald Olbrich, Berlin; Prof. Dr. Joachim Petsch, z.Z. Berlin; Prof. Dr. Viktoria Schmidt-Linsenhoff, Trier; Prof. Dr. Norbert Schneider, Münster; Dr. Ellen Spickernagel, Bielfefeld; Prof. Dr. Silke Wenk, Oldenburg
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen