■ Jetzt wird sie fertiggemacht, die politische Klasse
: Das Schlachtfest tobt

Langsam läuft die Skandal-Guillotine richtig schön heiß: Engholm, Krause, Heide Pfarr, bald Streibl und jetzt vielleicht Steinkühler. Jetzt wird sie fertiggemacht, die „politische Klasse“, die Köpfe rollen, ab ins politische Nirwana. Sollen sie doch abhauen, diese Abzocker, Umzugskosten-Kassierer, Spesenritter und Schwindler!

Die „Journaille“ ist nicht schuld, die Selbstbedienungsmentalität nicht deren Erfindung, die Erwischten sollen sich nicht beklagen. Endlich trifft der gerechte Volkszorn die Politkaste. Und dann, wenn einer nach dem anderen nachgeschoben wird – irgendwas werden wir auch bei denen finden. Keine Frage, die schaffen wir auch noch. Illegale Putzhilfe, geschönte Spesenabrechnung, Insider-Geschäfte, fremdgegangen: wer hat nicht Dreck am Stecken?

Der „Skandal“ zeigt sein blutiges Maul. Man möge es nie vergessen, die älteste Wortbedeutung im Griechischen bezeichnet das „Stellhölzchen“ einer Tierfalle. Das „Skandalon“ war jenes kleine Holzstück, das die Falle geöffnet hält und die Lockspeise, den Köder, hält. Wenn das Tier den Köder berührt, schnappt die Falle zu, der Jäger kann ihm den Garaus machen. Der Köder, dem auch die frischen Skandal- „Opfer“ nicht versagen konnten, ist die Macht. Sie lockt, immer wieder, immer neue Menschen. Wozu? Zu „gestalten“, sagen sie, sie meinen oft genug „herrschen“, einige meinen „kassieren“.

Bevor das Jubelgeheul um die gerade frisch Geschlachteten noch lauter wird und ein Blutrausch die Skandal-Schreier völlig um die Sinne bringt, zwei bescheidene Fragen. Die erste heißt: Was wurde durch die Rücktritte erreicht? In den alten Sagen der Politik-Analyse erzählte man sich, daß der Skandal eine „institutionalisierte Konfliktform“ sei, in der die Rechte und Pflichten von Herrschaftsausübenden und Herrschaftsunterworfenen ausgehandelt werden. Der Skandal zeige, daß ein politisch Handelnder gegen eine Norm verstoßen hat, der Skandal fordert das Opfer des Frevlers, die Welt ist wieder in Ordnung, die Norm gilt wieder.

Was aber, bitte schön, ist wieder in Ordnung durch die Rücktritte von Engholm, Krause oder Streibl?

Die zweite Frage heißt: Wie viele politische Talente glaubt Ihr, können wir nachschieben?

Nehmen wir Heide Pfarr: Klar, das mit den Renovierungs- und Umzugskosten scheint nicht in Ordnung gewesen zu sein. Jetzt ist sie weg, jemand wird wohl nachgeschoben. Eine Person weniger, die bereit gewesen war, den unglaublich anstrengenden Beruf der Politikausübung zu übernehmen. Allein die biographische Investition in eine Wissenschaftskarriere, dann hochschulpolitische Lehre, dann allmählich Ämterkarriere! Politik ist ein Ausbildungsberuf geworden, sicherlich, das ist nichts Neues. Aber wer will denn diese Jobs überhaupt noch machen, dieses ständige Termingehetze, den Verlust von Privatheit, die ewigen Kämpfe und Niederlagen, das Gefeilsche und Gezerre? Zeitunglesen und „Kreuziget ihn“-Geschrei sind weniger anstrengend.

Auch das noch, Mitleid mit den Politikerinnen und Politikern? Weit gefehlt, aber nachdenken wird man ja wohl noch dürfen über die Konsequenzen des momentanen politischen Massenschlachtens. Überlegt Euch, Ihr Skandalierer, welch Personal Ihr durch diese rigorosen Rübe-ab-Parolen auf die Bühne ruft! Das Regime der Saubermänner und Sauberfrauen könnte grausamer werden als das der kleinen Spesenritter.

Der Schrecken des „Wohlfahrtsausschusses“ des Robespierre führte direkt zur Anbetung des Kaisers Napoleon. Der Weg zur ewigen Herrschaft des Oggersheimers könnte durch die Grabplatten der momentanen Skandal-Beute führen. Dirk Käsler

Der Autor lehrt Allgemeine Soziologie an der Universität Hamburg und publizierte, zusammen mit einigen seiner Studierenden, „Der Politische Skandal. Zur symbolischen und dramaturgischen Qualität von Politik“.