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Immer mehr Berliner Radler verunglücken im Verkehr

■ In diesem Jahr schon sieben Tote / Täglich wird ein Dutzend Radfahrer verletzt / Häufigste Unfallursache sind Rechtsabbieger, die Radler auf Radwegen übersehen / ADFC plädiert für Fahrradstreifen

Der Autofahrer hat eine Beule an seinem Wagen, der Radfahrer wird schwer verletzt – oder stirbt. Daß Pedalisten beim Zusammenstoß mit Motorisierten eigentlich immer den kürzeren ziehen, erleben im Schnitt täglich etwa ein Dutzend Berliner Radfahrer, die bei Zusammenstößen mit Pkws oder Lkws verletzt werden. Die Zahl der Radler als Unfallopfer steigt langsam, aber stetig: Während 1991 insgesamt 3.856 Radfahrer verletzt wurden – 455 davon schwer –, waren es im vergangenen Jahr schon knapp 30 Prozent mehr: 4.969 Radler verunglückten 1992 (darunter 609 Schwerverletzte). Die Zahl der Todesopfer hielt sich bei 24. Bis Anfang Mai dieses Jahres starben bereits sieben Radler an den Folgen ihrer Unfälle, im selben Zeitraum des Vorjahres sind nur zwei tödlich verunglückt. Letztes Opfer ist ein zehnjähriger Junge, der in der Köpenicker Salvador-Allende-Straße von einem Lastwagen überfahren wurde. Die Opfer sind hauptsächlich Kinder und Senioren. Drei der sieben tödlich Verunglückten waren Jungen im Grundschulalter. „Kinder kennen oder beachten die Verkehrsregeln noch nicht genügend“, sagt Wolfgang Klang von der Unfallauswertung der Polizei, „und Senioren verlassen sich darauf, daß alle Verkehrsteilnehmer sich an die Vorschriften halten.“

Die häufigste Unfallursache ist seit Jahren dieselbe: der rechts abbiegende Pkw oder Lastwagen nimmt den geradeaus fahrenden Radfahrer nicht rechtzeitig wahr. Ungefähr jedem dritten tödlich verunglückten Radler wurde das zum Verhängnis. Da es auf Straßen mit Radwegen erheblich öfter zu solchen Unfällen kommt, setzen die Gegner der Radwege hier ihre Kritik an.

Uta Wobit, Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Fahrrad- Clubs (ADFC) in Berlin, hält die Fahrradwege für eine überholte, den Radfahrer unnötig gefährdende Einrichtung. Da parkende Autos den Radweg bis kurz vor der Kreuzung verdeckten, könne der rechts abbiegende fließende Verkehr die Radfahrer nicht rechtzeitig erkennen.

Dennoch hält die Verkehrsverwaltung an dem Radwegekonzept fest und will das Netz weiter ausbauen. Die Radfahrer sollten an kritischen Stellen ihr Tempo drosseln und „auf die Vorstellung verzichten, Radfahrer hätten immer Vorfahrt“, meint Tomas Spahn von der Verkehrsverwaltung. Die Berliner Polizei will die Gefahr durch eine leuchtendrote Färbung des Radweges entschärfen: Statistiken zufolge gebe es bei „markierten“ Kreuzungen deutlich weniger Zusammenstöße. Außerdem sollen Halteverbote im Kreuzungsbereich energischer durchgeführt und Fahrradwege – wenn möglich – vor den Einmündungen auf die Straße verlagert werden, damit die Radler wahrgenommen werden.

Daß sich auf Straßen mit Radwegen ein Vielfaches der Unfälle ereignet, die auf Straßen, wo sich Radler und Motorisierte die Fahrbahn teilen, passieren, ist weder für die Polizei noch für die Verkehrsverwaltung ein Indiz für die Gefährlichkeit der Radwege. Zum einen sei der Verkehr in Straßen mit Radwegen größer, da es sich meist um Hauptverkehrsstraßen handle. Andererseits würden die Wege bevorzugt genutzt, so daß sich die Radfahrermenge erhöhe.

Die „billige und sichere Alternative“ zum Radweg ist nach Ansicht Uta Wobits der Fahrradstreifen, die eigene Fahrbahn für Pedalisten zwischen parkenden Autos und fließendem Verkehr. Abgesehen von dem radfreundlichen Straßenbelag wäre so die freie Fahrt der Radfahrer, die nicht länger Falschparkern und Fußgängern ausweichen müßten, gewährleistet. Die Verkehrsverwaltung will solche Radstreifen aber nur auf Straßen einrichten, auf denen sie nicht einer regulären Fahrbahn den Platz nehmen. So recht will man sich mit dem Radstreifen nicht anfreunden. „Das Risiko der Durchmengung von Pkws und Fahrrädern ist zu groß“, sagt Tomas Spahn.

Mit der Radfahrerlaubnis auf der Busspur sind jedoch alle zufrieden. Die ADFC-Vorsitzende findet sie „wundervoll“. Und auch die BVG komme gut mit den Radlern zurecht, versichert Pressesprecher Ulrich Mohneke: „bis auf einige Radfahrer, die aus Protest auf der linken Seite der Busspur fahren“. Das Bild vom Protestfahrer, der rote Ampeln, Einbahnstraßen und Radwege ignoriert und sich lebensmüde an den langsameren Autos vorbeizwängt, macht sich in der Stadt zunehmend breit. Wolfgang Klang von der Polizei hat für solches Verhalten kein Verständnis: „Da die Radfahrer neben den Fußgängern die verletzlichsten Verkehrsteilnehmer sind, ist es nicht klug, durch offensive Fahrweise den Frust der Autofahrer noch zu erhöhen.“

Als Prototyp des „Protestfahrers“ gilt der Fahrradkurier. Aber gerade die so draufgängerisch wirkenden Mountainbiker und Rennradler sind am wenigsten von Unfällen bedroht. Seit der Gründung der Kurieragentur „messenger“ vor vier Jahren haben sich erst zwei Unfälle ereignet, nach denen die betroffenen Kuriere ins Krankenhaus mußten. Stefan Kleßmann, Betreuer bei „messenger“, hat dafür eine einfache Erklärung: Die Kuriere fahren mit höchster Konzentration und verlassen sich niemals darauf, daß die anderen sich an die Regeln halten. Robert Löhr

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