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Wahrhaftiger Moment der Täuschung

Bettina Rheims hat zur Farbe gewechselt. Frauenakte in präziser Buntheit, mit geblümten Tapeten: Viel Vergnügen im Giftschrank des bürgerlichen Geschmacks  ■ Von Ulf Erdmann Ziegler

Bis vor kurzem war mir gar nicht klar, warum Bettina Rheims Fotografin geworden war, und gänzlich unklar, warum sie es mit ihren verlegenen Aktportraits innerhalb weniger Jahre zu so etwas wie europäischer Prominenz brachte. Sie selbst hatte, unfreiwilligerweise, erklärt, warum ihre Studiobilder von jungen Leuten in London so mäßig geworden waren. Es war ihr schwergefallen, die jungen Leute zu bitten, sich auszuziehen. Besonders die Männer.

Nun ist sie wieder da mit „Chambre close“, und es darf gestaunt werden. Rheims hat zur Farbe gewechselt und befindet sich plötzlich inmitten ihres Metiers. An einem schwarzen Kleid, das eine junge Frau von ihrem Körper streift, sieht man Rheims präzise Auffassung dessen, was am Ende ein buntes Bild ist – nicht ein Bild von etwas Buntem. Das Kleid steht als tiefschwarzer Keil im linken unteren Viertel eines Bildquadrats, das von einer rosa-grauen Streifentapete dominiert ist. Die gestreifte Wand fängt die Frau auf wie ein Leporello, mit doppelter Flucht. Der Körper der jungen Frau, schon auf den ersten Blick in einem künstlichen Moment eingefroren, konkurriert mit dem bleichen Bildschirm der Nachttischlampe, die, wenn auch erleuchtet, selbstverständlich nicht die Lichtquelle ist. Denkt man sich den gerade bis zum Schamansatz nackten Körper der Frau verdeckt, verbinden sich die tiefe Schwärze des herabgelassenen Kleids und ihr Schatten an der Wand zum Schattenriß einer höfischen Bediensteten, die gerade einen Knicks macht.

Und das ist ja die Geschichte der visuellen Erotika: die Konkurrenz von Triumph und Unterwerfung; aber wehe, wenn der Triumph am Betrachter (an der Betrachterin) hängenbleibt. Das ist das Schicksal der Pornographie und ihrer schlüpfrigen Vorläufer und Begleiter. Die Kunst beginnt mit dem Rollentausch: Unsichtbar wechselt die Künstlerin (der Künstler) in die Rolle des Modells, das Modell erscheint vor dem Bild, prüft es, zeigt sich zufrieden und erregt, und die Betrachtenden imaginieren sich in einem wahrhaftigen Moment der Täuschung in die Rolle der Künstlerin (des Künstlers).

Die Konzeption des Buchs – soweit ich weiß ohne Vorläufer – handelt von der Ungleichheit beim Abbilden von Nackten. Der Text von Serge Bramly, über weite Strecken des Buchs als Ergänzung der Doppelseite zum Einzelbild gestellt, gibt sich als „Aufzeichnung des Monsieur X“: das Protokoll eines erotomanen Geschäftsmannes, dessen einsames Hobby es ist, Frauen anzusprechen und (gegen Geld) in Hotelzimmern zu fotografieren. Beim Lesen und Blättern wird klar, daß die Parallelführung von Text und Bild eine Falle ist. Das Bekenntnis von Monsieur X ist natürlich die Selbstrettung des Lüstlings, der sich mit seiner „persönlichen Physiognomik“ spreizt, deren „einziger Makel ist, daß sie nicht weitergegeben werden kann, weil sie sich auf ein Bezugssystem stützt (der Hängebusen von Mademoiselle Soundso, das gesunde Gebiß meiner Frau etc.), mit dem nur ich etwas anzufangen weiß“ – ein herrliches Beispiel abwegiger französischer Geschwätzigkeit, vorgelegt vom gleichen Bramly, dessen Leonardo- Biographie gerade auf deutsch erschienen ist.

Die Fotografien sind natürlich nicht das Produkt abwegiger Bekanntschaften in zufälligen Absteigen, sondern ausgetüftelte Arrangements von bisweilen leichter Frivolität, gezauste rencontres von Rheims mit insgesamt 47 Frauen, die sie offensichtlich recht gut oder sehr gut kennt, von Alexandra, Anne, Anne-Sophie bis zu Tony, Valerie B., Valerie M., Veronique B. und Virginie. Die Namen werden auf der Dank- Seite genannt und nicht bei den Fotos, so daß die Frauen namenlos erscheinen. Der „Dank gilt auch Thierry Kauffmann, der Bettina Rheims assistierte, Christophe Boulze, der die Räumlichkeiten fand (... und) Greshka, die sich um das Make-up der Modelle kümmerte, Loic Berthezene, der beim Casting mithalf, Marylene Gars-Chambas, die beim Styling mitwirkte...“: eine typische „Produktion“ wie in Mode und Werbung, an der, von den Modellen noch abgesehen, bis zum Gestalter und der Verlegerin mehr als zwanzig Leute mitwirken, das technische Personal in den Labors nicht mitgerechnet.

Was Rheims mit „Chambre Close“ erstellt hat, ist ein Panoptikum weiblicher Figuren, das nicht anders zu begreifen ist als ein weit ausgelegter Kommentar zur etablierten erotischen Fotografie von No-names bis zu Helmut Newton. Was seine aufgedrehten Models mit Stutenlenden mit weniger ironischen „Bunnies“ gemeinsam haben, ist, daß der absurde Wunsch nach unbeobachtetem Schauen legitimiert wird durch eine Darbietung, die alles Alltägliche abgestreift hat zugunsten von Metonymien (nicht die Frau als solche ist erotisch besetzt, sondern das Bett, die Kerze, das Fenster und das Auto auch). Was Bettina Rheims gelingt zu zeigen, ist, daß die Begierde des Schauens auch dann absurd bleibt, wenn das Objekt es nicht ist; gerade indem sie den Kontrast der definitiv erotischen Körper zum Ambiente verschärft. Manche Bilder zeigen neben dem spätfeudalen Interieur auch den Blick ins Badezimmer: mit Bidet. Die Figuren bei Rheims sind eindeutig herausgetreten aus der Nische phantasmatischer Verfügbarkeit. Nicht, daß „Chambre Close“ behaupten würde, weibliche Sexualität sei zurückzuführen in einen selbstbezüglichen Urzustand, an dem Männer geschmackvollerweise nicht teilzuhaben hätten. Die Selbstdarbietung wird überhaupt nicht als Bekenntnis ausgegeben: La femme n' existe pas.

Die Wahl der locations ist schlagend: Es sind karge und üppige, geblümte und gestreifte, ältliche und schrille Zimmer in französischen Hotels. Was Rheims als Ambiente einsetzt, ist das Gegenmittel einer gediegenen Farbfotografie, ist der Griff in den Giftschrank des bürgerlichen Geschmacks. Natürlich bietet die Begrenztheit der Linse nicht jene flächenhafte Einbindung, mit der Matisse einst die fast unlösbare Konkurrenz von Mustern (Oberflächen überhaupt) und Raumtiefe entschärft hat; das Konstrukt von Raum und Oberfläche bleibt als technisches sichtbar. Die Zimmer erinnern an das Flüchtige, das falsche Versprechen, den unvermeidbaren Kompromiß: Und hier, im Halbdunkel der Repräsentation, zeigen sich die Frauen be- und verkleidet, nackt und halbnackt, mit gespreizten Beinen liegend, auf Tischen sitzend und stehend, Hals über Kopf in der Zimmerecke turnend, und nichts könnte die Einheit dieser Körper stärker betonen als die hellblau gestreiften Laken und die beigegrün wuchernden Tapeten und die synthetikrot leuchtenden Decken. Ein grotesk gemusterter Teppich – etwas sehr Künstliches zwischen Herbstlaub und Terrarium – tut sich in einem der Bilder auf wie ein unwirklicher Grund. Zwielichtige Metaphern für den begehrlichen Blick werden nicht geboten. Sich zeigen, sagen die Frauen in den Bildern Bettina Rheims, ist ein Affentheater; das Hinschauen folglich auch. Es gibt kein Heimspiel im Reich der Begierde.

„Chambre close. Eine Fiktion.“ Von Bettina Rheims und Serge Bramly (deutsch von Hartmut Zahn), Gestaltung Werner Jeker, Umschlag Peter Langemann; Gina Kehayoff Verlag München, 143 Seiten, 98 DM

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