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„Der Franz“ gehört nicht zu den Schwachen

■ Der Mann, der wegen seines Geschicks im Verhandlungspoker mit den Unternehmern Freund und Feind Respekt einflößt, führt seine Gewerkschaft mit erdrückender Dominanz

Die Gewerkschaft, sagt Franz Steinkühler gerne, sei „das Stärkste, was die Schwachen haben“. Deshalb könne es für abhängig Beschäftigte keine bessere Politik geben, als die Gewerkschaft so stark wie möglich zu machen. Franz Steinkühler, das war schon vor den jüngsten Offenbarungen über seine Börsengeschäfte klar, gehört nicht zu den Schwachen und auch nicht zu den Armen. Er ist ein Karrieremann, der aus politischer Leidenschaft immer weiter aufgestiegen ist und den heute, ganz oben an der Spitze der mächtigen Gewerkschaft IG Metall angekommen, bisweilen eine Aura von Unnahbarkeit umgibt.

„Der Franz“, wie er von seinen Kolleginnen und Kollegen halb kumpelhaft, halb ehrfürchtig genannt wird, war schon längst vor seiner Frankfurter Zeit ein charismatischer Gewerkschaftsführer und Medienstar. Als Stuttgarter Bezirksleiter hat er in den siebziger Jahren erstmals in der deutschen Tarifgeschichte qualitative Arbeitserleichterungen in einem mehrwöchigen Streik durchgeboxt. Die Standards dieses Vertrages, Mindesttaktzeiten und stündliche persönliche Erholzeiten für Bandarbeiter, sind bis heute nicht in allen Bereichen der Industrie durchgesetzt.

Franz Steinkühlers Weg ging immer nach oben. Im Beruf schaffte er es in neun Jahren vom Lehrling bis zum REFA-Fachmann und Leiter der Arbeitsvorbereitung in einem Göppinger Metallbetrieb. Und ab 1960 hat er als hauptamtlicher Gewerkschafter wiederum nur neun Jahre gebraucht, um vom kleinen Volontär in der IG-Metall-Verwaltungsstelle Schwäbisch-Gmünd bis zum Bezirksleiter des kampfstarken Bezirks der Gewerkschaft in Stuttgart aufzusteigen.

Gewerkschaftsführer wie der legendäre frühere Bezirksleiter Willi Bleicher haben seine gewerkschaftlichen Grundüberzeugungen geformt. Und in deren Mittelpunkt steht das Organisationsinteresse der IG Metall. 1983 hat ihn sein Vorgänger und Mentor Hans Mayr in den geschäftsführenden Hauptvorstand der IG Metall nach Frankfurt geholt und gleich zum Zweiten Vorsitzenden gemacht. Damit waren die Weichen für die Nachfolge gestellt: 1986 begann für die IG Metall die Ära Steinkühler.

Preußische Bescheidenheit ist seine Sache nicht

Ein Asket ist Steinkühler trotz aller gewerkschaftlicher Organisationsraison nicht. Zwar kann der stets korrekt beschlipste und gescheitelte Metaller-Chef dem locker-flockig zur Schau gestellten Lebensgenuß der sozialdemokratischen Toscana-Fraktion nichts abgewinnen. Aber preußische Bescheidenheit im persönlichen Lebensstil ist seine Sache auch nicht. Bei seinen Restaurantbesuchen bevorzugt er stets die erste Adresse vor Ort. Und wenn er sich bei erlesenem Wein und in Gesellschaft von Freunden seine Zigarre ansteckt, kann er auch richtig locker werden.

Mitarbeiter haben an Steinkühler eine geradezu phantastische Fähigkeit beobachtet, persönliche Machtkonstellationen zu erahnen und unbarmherzig auszunutzen. Beim Verhandlungspoker mit den Unternehmern kommt ihm das immer wieder zugute. Aber innerhalb der eigenen Organisation hat es zu einer bisweilen erdrückenden Dominanz des Mannes an der Spitze geführt.

Ohne „Kaiser Franz“ läuft in der IG Metall nichts, und auch der Deutsche Gewerkschaftsbund kuscht auf der Stelle, wenn er als Chef der größten Mitgliedsgewerkschaft seinen Unwillen über das ursprünglich geplante Mai- Motto 93 „Frau geht vor“ kundtut. Steinkühler hatte sich bei seinem Amtsantritt vor sieben Jahren vorgenommen, die IG Metall gründlich von überholten gewerkschaftlichen Traditionsbeständen zu entschlacken, sie zu einer modernen, offenen und gleichzeitig schlagkräftigen Reformorganisation zu machen. Manchmal steht er sich dabei selbst im Wege. Martin Kempe

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