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Ost-Opportunismus half bei der West-Wende

■ Hochschule im Umbruch: Ein Sammelband formuliert eine Bestandsaufnahme des ostdeutschen Hochschullandschaft nach ihrer konsequenten Westung

„Die Hochschulerneuerung in Ostdeutschland kann getrost als gescheitert bezeichnet werden.“ Peer Pasternacks Analyse ist nicht allzu neu: Die Klage über „gewaltsame Überstülpung fremder Strukturen“ verfestigte sich zum richtigen, aber oft weinerlichen Stereotyp. Pasternack aber, der Sprecher des ersten Studentenrates in der (Noch-)DDR in Leipzig, hat auch seine ehemaligen Landsleute am Wickel, vor allem die WissenschaftlerInnen. Ihr „augenscheinlich unausrottbar verinnerlichter libidinöser Opportunismus“ habe es erst möglich gemacht, daß die westdeutschen Politiker und Wissenschaftsgremien in der DDR durchzockten, bilanziert Peer Pasternack im Sammelband „Hochschule im Umbruch“.

Herausgeben hat ihn die ehemalige Präsidentin des Abgeordentenhauses, Hilde Schramm, im Auftrag der GEW. „Damit einmal gedachte Vorstellungen nicht verlorengehen“, sagt die Grüne zu ihrer Intention. Zu dem, was zu bewahren wäre, gehörte nicht der „strukturelle Opportunismus der Vergangenheit“, sagt Peer Pasternack. Genau aber diese Eigenschaft habe ungebrochen weitergelebt. „Die Fortsetzung der Anpassung – nun an das andere System.“ Der mentalen Konstitution der meisten WissenschaftlerInnen habe dies am ehesten entsprochen. Als Beispiel führt Pasternack den Leipziger Logik-Professor Lothar Kreiser, immerhin der einzige Vertreter der ostdeutschen Geistes- und Sozialwissenschaften, der einen Platz im Wissenschaftsrat eingenommen hat. 1988, als in der DDR die kritische Zeitschrift Sputnik verboten wurde, habe Kreiser den aufkeimenden Protest unter den Studierenden niedergehalten. 1990 argumentierte Kreiser dann vehement dafür, den Namen der Karl-Marx-Universität zu tilgen. Die deutsche Intellektuellenkrankheit. Sie ist nicht auszurotten, in der DDR wucherte sie. Die SED korrumpierte die Intellektuellen, wo sie nur konnte. Notfalls sorgte die Stasi dafür, daß die IntelligenzlerInnen keinen staatsgefährdenden Gebrauch vom (freien) Wort machten.

Aber nicht nur deswegen ist es den Hochschulen in der DDR nicht gelungen, sich von innen heraus zu reformieren. Hinzu kam der systemische Druck der Wiedervereinigung. Er brachte eine „kompromißlose Anpassung an den westdeutschen Mainstream“. In ihrer personellen Variante habe sich die Erneuerung erschöpft in dem „atemlosen Sortieren des vorhandenen Personals nach ,belastet‘ und ,unbelastet‘“. Schließlich habe eine „unkritische Angleichung an westdeutsche Hochschulstrukturen“ stattgefunden. Pasternack führt als Zeugen an den Präsidenten der Westdeutschen Rektorenkonferenz, Seidel. Man solle bei der Gestaltung neuer Universitätsstrukturen „nicht in Überdemokratisierung verfallen“, habe er in Leipzig gesagt. Und der Vorsitzende des Wissenschaftsrates meinte: Vielleicht hätte es im Osten Möglichkeiten gegeben, „die wir nicht geprüft haben“.

Was dem Pasternackschen Feuerwerk bisweilen abgeht – das konkrete Beispiel –, liefern 70 AutorInnen aus Ost und West auf 450 Seiten ostdeutscher Uni-Landschaft nach. Jürgen Krause etwa und Isolde Stangner zeigen, wie die thüringische TH Ilmenau in Konflikt mit einem westimportierten Hochschulgesetz kam. In der Hochschule entwickelt, gab die dortige Grundordnung den Professoren keinewegs immer die Mehrheit in den Gremien der akademischen Selbstverwaltung. Damit war es vorbei, als ein „mehr oder weniger heimlich in Hessen“ geschriebener Referentenentwurf für ein Landeshochschulgesetz binnen vier Wochen zu kommentieren war. „Eine demokratische Mißgeburt“, an der die Hochschulen selbst sich erst nach massiven Protesten im Anhörungsverfahren beteiligen konnten. Ohne Erfolg. „Nun gibt es also auch bei uns bis ins hinterletzte Gremium Professorenmehrheit, aber selbst die ist für die Katz', wenn der Minister sowieso das letzte Wort hat“, rief die Thüringer Studentenschaft dem Gesetz nach.

Krause/Stangner schließen mit dem, was an Hochschulen im Westen klar ist: „In den durch das Gesetz diskriminierten Gruppen gewinnen Resignation und Desinteresse die Überhand.“

Hilde Schramm selbst weist in einem Aufsatz nach, wie mühelos Reformansätze aus der Noch- DDR für die Debatte der aktuellen Hochschulkrise fruchtbar gemacht werden könnten. Etwa die 1988 an der Humboldt-Universität – damals noch „hinter den Mauern“ gelegen – gestartete „Ausbildungsvariante“ der Pädagogik. Die StudentInnen auf Lehramt Mathematik/Physik sollten viel früher zusammenhängend und selbständig tätig werden. Hinterfragen der Verhältnisse und das „Erleben von Veränderungsfähigkeit“ führte die Ausbildungsvariante „als ausdrückliche Zielgröße“ an. Das eiserne Regime, das Margot Honecker in der DDR-Bildungspolitik führte, verhinderte damals zwar ein breites Umsetzen oder gar eine offene Debatte der „Ausbildungsvariante“. Aber gedacht wurde sie offenbar. Nun läßt sich besser streiten über das, was in den Schubladen der DDR-ReformerInnen gelegen hat. Hilde Schramm und ihre AutorInnen haben sie dem neugierigen Blick geöffnet. Christian Füller

„Hochschule im Umbruch: Zwischenbilanz Ost“. Hrsg. von Hilde Schramm im Auftrag der GEW. Berlin: BasisDruck, 1993. 453 S., 24 DM

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