piwik no script img

„Tribunal“ gegen Unmenschlichkeit

Adil El M. kam 1989 in Marokko zur Welt. Irgendwann verschwand der Vater auf Nimmerwiedersehen. Adils Mutter mußte nun für sich allein aufkommen. Arbeiten für den Unterhalt und gleichzeitig ein kleines Baby versorgen, das ging nicht. Denn die Verwandten, bei denen die Mutter den Kleinen hätte „babysitten“ lassen können, lebten alle in Deutschland. Das Rüsselsheimer Amtsgericht hatte ein Einsehen und übertrug unter diesen Umständen dem in Deutschland lebenden Großvater die Vormundschaft.

Doch die Ausländerbehörde der Stadt ordnete die Ausweisung Adils an, drohte sogar mit Abschiebung. Der Großvater des Zweijährigen wehrte sich vor Gericht und erreichte einen vorläufigen Abschiebestopp. Nachdem in der Presse mehrere Berichte erschienen waren und der örtliche Ausländerbeirat bei den entsprechenden Stellen der Stadt Druck ausübte, lenkte die Ausländerbehörde ein. Adil darf sich jetzt bis 1996 legal in Deutschland aufhalten.

In einem anderen Fall geht es – nicht zufällig – auch um Marokkaner und Abschiebung. Da erdreisteten sich im vergangenen Herbst 40 marokkanische Hilfsarbeiter den eigenen, Münchner Arbeitgeber „Circus Krone“, vor das Arbeitsgericht zu zerren. Wegen zuwenig Lohn (angeblich vier Mark pro Stunde), unbezahlten Überstunden (die 70-Stunden- Woche soll die Regel gewesen sein) und entwürdigenden Arbeitsbedingungen. Prompt flattern bei 14 von ihnen Ausweisungsbescheide ins Haus. Begründung der Münchner Ausländerbehörde: Man habe es „wegen Arbeitsüberlastung der zuständigen Abteilung“ versäumt, die Marokkaner früh genug auszuweisen. Das Aufenthaltsrecht sei ihnen „fälschlicherweise“ zugestanden worden. Reiner Zufall, daß die Ausweisungsverfügungen zeitlich mit dem Prozeß gegen Krone zusammenfielen?

Diese und andere Beispiele von „legitimierter Unmenschlichkeit“ in der deutschen Bürokratie wurden von den Veranstaltern des ersten Rüsselsheimer „Tribunals gegen Ausländer- und Asylgesetzgebung“ vorgestellt. Betroffene berichteten über die weitgehenden Eingriffe und Verletzungen, denen sie in ihrem persönlichen Leben ausgesetzt sind. Ziel des „Tribunals“ war kein Scheinprozeß, sondern die Diskussion der menschlichen Seite der leidigen Ausländerdebatte.

José Ramirez-Voltaire, Sprecher des Rüsselsheimer Forums: „Wenn auch eine Entscheidung über die Verschärfung des Asylgesetzes nicht mehr zu ändern ist, wollen wir unseren Protest zeigen.“ Der werde solange massiv an die hiesige und europäische Öffentlichkeit getragen, bis „diese kapiert, daß man Menschenrechte nicht beliebig auslegen kann – schon gar nicht nach wirtschaftlichen Kriterien.“ Franco Foraci

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen