Sanssouci
: Vorschlag

■ „Weltenfriede – Jugendglück“ in der Akademie

Theatergeschichtsschreibung leidet an einem grundsätzlichen Problem: Die Kunst, von der sie handelt, ist nur per Hilfsmittel vermittelbar – der szenische Vorgang selbst ist nicht zu wiederholen. Mehr noch gilt das für den Tanz – beim Versuch der Rekonstruktion greift man ins Nichts der verflüchtigten Bewegung. Die Ausstellung „Weltenfriede – Jugendglück“ versucht diesem Problem zu Leibe zu rücken und der Tanzgeschichte „vom Ausdruckstanz zum Olympischen Festspiel“ nachzuspüren.

Mit umfangreichem Fotomaterial und 26 Videogeräten gelingt es tatsächlich, etwas von dem Phänomen Tanz in den ersten dreißig Jahren des Jahrhunderts zu vermitteln. Filmausschnitte von Mary Wigmans legendärem „Hexentanz“, von Labans Bewegungschören und Valeska Gerts Grotesktänzen sind zu sehen. Vor allem die Fotoflut von mystisch-verklärten Freikörperkulturanhängern, Nackt- bzw. Schönheitstänzerinnen, von Isodora Duncan bis zu den Schülern von Dalcroze und Laban, macht die ungeheure Vielfalt, die der Tanz bis weit in die zwanziger Jahre in Deutschland entwickelte, vorstellbar. Neben den verklärt die Arme in den Himmel reckenden Mädchen von Hellerau befindet sich die Exotiktänzerin Sent M'ahesa und die von Königen und Fürsten umworbene Schönheitstänzerin Cléo des Mérode. Ein wechselnder Nimbus von Verruchtheit, dunkler Mystik und heilig-heller Verklärung geht von diesen Fotos aus.

Doch der Ausdruckstanz in Deutschland ist auch ein politisches Phänomen: aus Labans Volk der freien Tänzer wurde Hitlers Volk von Marschierern im Gleichschritt – an den Olympischen Festspielen von 1936 nahmen von Rudolf von Laban über Mary Wigman bis zu Gret Palucca alle großen Tänzerpersönlichkeiten teil. Die Entwicklung der Vereinnahmung, in der die künstlerischen Ziele durch die politischen ersetzt wurden, versucht die Ausstellung zu verdeutlichen. Überfällige Aufarbeitungsarbeit.

Wenn man sie sehe, schrieb ein Kritiker in den zwanziger Jahren über die schon damals legendäre Palucca, „sagt man nicht: wie herrlich ist die Palucca, sondern: wie herrlich ist das Leben“. Wer Photos von ihr sieht, kann die Schwärmerei verstehen – doch auch die Nazis mochten Gret Palucca wegen ihrer positiven Ausstrahlung ganz besonders. Neben den Fotos läuft der Tanzfilm „Serenata“, in dem keine vor Lebenslust und konzentrierter Spannkraft platzende, sondern eine Hingabe und Weichheit verströmende, ganz meditativ versunkene Palucca zu sehen ist. Wenig später begegnet einem der Film ein zweites Mal: „Serenata“ ist ein Propagandafilm. Hier ist der Ton eingespielt, vom Tanz, der aus den Kräften des Bodens gewachsen sei, ist da die Rede und von der Gemeinschaft, die sich im Volkstanz ihrer selbst bewußt wird. Volkstänze der verschiedenen Regionen, als urwüchsiger Ursprung, sind dem Tanz der Palucca, als der daraus emporgewachsenen hohen Kunst, vorangestellt.

Solch klare Eindrücke vermittelt die Ausstellung nur punktuell. Um ein tieferes Verständnis für die Stationen von Aufbruch, Entfaltung und Vereinnahmung des Ausdruckstanzes zu ermöglichen, hätte wohl vor allem mit mehr Text gearbeitet werden müssen. Das leistet der leider 48 Mark teure, aber überaus empfehlenswerte Ausstellungskatalog. Michaela Schlagenwerth

„Weltenfriede – Jugendglück“: Ausstellungshallen der Akademie der Künste, bis 13. Juni, täglich 10 bis 19 Uhr, Mo ab 13 Uhr