■ Zukunft der Gewerbehöfe offen: Inseln der Glücklichen
Daß die Berliner Bezirke machtlos sind, ist ein gern gepflegtes Vorurteil. Im Falle Kreuzberg schöpfte das Bezirksamt den ihm zustehenden rechtlichen Rahmen aus und untersagte nun den Verkauf des traditionsreichen Oranienhofes. Damit platzte vorerst der Traum des Immobilienhändlers Peter Weber, drei Gewerbehöfe in gestylte „Erlebnishöfe“ umzuwandeln. Auch wenn Weber vom Kaufvertrag zurücktreten sollte, blickt die bunte Kreuzberger Mischung in den Höfen mit ihren Tischlereien, Druckereien oder Elektrobetrieben in eine ungewisse Zukunft. Der Vorschlag von Kreuzbergs Bürgermeister Peter Strieder, dem alten oder wie immer lautenden zukünftigen Eigentümer im Gegenzug für abgetrotzte langfristige Mietverträge das Recht einzuräumen, auf einigen Flächen höhere Mieten zu verlangen, wird das langsame Sterben des Kreuzberger Modells von Arbeiten und Wohnen nur verlangsamen, aber nicht beenden. Das typisch sozialdemokratische Modell, nach außen hin als Ausgleich gedacht, öffnet der schleichenden Umwandlung der Höfe einen Spaltbreit die Tür, um sie dann möglicherweise in einigen Jahren ganz den zahlungskräftigen Kunden auszuliefern. Der Wunsch vieler Betroffenen, die Höfe mit Hilfe des Landes zu kaufen, nimmt sich dagegen wie ein Griff in die in letzter Zeit so gebeutelte Mottenkiste linker Modelle aus. In der Tat lassen leere Kassen des Senats, die gegensätzlichen Interessen der über 100 Betriebe und die allgemeinen politischen Ermüdungserscheinungen wenig Hoffnung auf eine Umsetzung aufkommen.
Und doch ist es der einzige Weg, dem wirtschaftlichen Druck von Außen ein eigenes gesellschaftspolitisches Gegenmodell im Bezirk selbst entgegenzusetzen, das sich anderen Kriterien unterordnet als den Verwertungsinteressen des Kapitals. Wer argumentiert, Inseln der Glückseligen seien in lukrativen Standorten wie Kreuzberg künftig nicht mehr möglich, zeigt zwar viel Realitätssinn. Leider. Mut, eigene Wege zu gehen und dafür gegen die Widrigkeiten des Zeitgeistes zu streiten, offenbart er damit allerdings nicht. Severin Weiland
Siehe Bericht Seite 36
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