Filmfestspiele in Cannes: Tritte ins Gesicht
■ Sylvester Stallone präsentierte seinen neuen Film „Cliffhanger“
Jedes Jahr gibt es in Cannes einen „glanzvollen gesellschaftlichen Höhepunkt“, der an die Anwesenheit eines Superstars gekoppelt ist. Die Massen drängeln sich dann vorm Palast, um durch Inaugenscheinnahme zu überprüfen, ob dieser Star tatsächlich existiert oder nicht doch eine reine Mediensimulation ist. Meist erweist sich, daß er tatsächlich existiert, wobei ein letzter Beweis nicht zu erbringen ist, denn anfassen lassen sich die Stars nicht. Vor zwei Jahren war Madonna da und jetzt also, am Donnerstag abend, Sylvester Stallone. Da war die allgemeine Hysterie nicht ganz so groß – wenn auch, zum Verdruß aller vaterländisch gesinnten Franzosen, immer noch größer als bei Catherine Deneuve.
Zum ersten Mal hat Stallone so mit seinem neuen 60-Millionen- Dollar-Film „Cliffhanger“, einer der größten Hollywoodproduktionen des Jahres, die Aufnahme in das berühmteste Festival der Welt geschafft. Der Film lief allerdings außer Wettbewerb. Schirmherrin des Abends war Elizabeth Taylor. Die Weltpremiere diente gleichzeitig dem money raising für verschiedene Aids- Stiftungen. Wer dabei sein wollte, mußte 300 Francs für die Eintrittskarte bezahlen. Das anschließende Dinner im feinsten Restaurant der Stadt kostete gar 2.500 Dollar pro Person.
„Cliffhanger“ (Regie: Renny Harlin) spielt in den Rocky Mountains, wurde aus Kostengründen aber in den italienischen Alpen gedreht. Stallone, der in einem Interview bekannte, das Hochgebirge zu hassen, spielt den Bergführer und -retter Gabe.
Der Film beginnt mit einer wahrhaft schwindelerregenden Szene: Gabe versucht, die Frau seines Bergführerkollegen zu retten – aber sie entgleitet seinem starken Arm und stürzt in den Tod. Man erwartet nach diesem Anfang einen Psychothriller, denn Gabes Kollege, der alles tatenlos mitansehen mußte, sieht nicht gerade besonders erfreut aus. Aber es kommt anders, leider. In einer nicht sehr glaubhaften Nebenhandlung kapern ein paar durch und durch böse Gangster ein Flugzeug mit 100 Millionen Dollar an Bord. Der Coup gelingt nicht. Die drei Koffer mit dem Geld stürzen ab. Die Gangster auch. Durch ein Wunder, das wohl allein den Zwängen des Plots zu verdanken ist, überleben sie aber unverletzt. Da die drei Koffer auf extrem unwegsamen Gipfeln und Graten gelandet sind, zwingen die Gangster Gabe und seinen Kollegen, das Geld mit ihnen zu suchen.
Der Film ist so unsympathisch, weil man förmlich spürt, wie hier in die Gewalt, die aus dieser Konstellation herrührt, investiert wurde. In einer Szene, die in einer Tropfsteinhöhle spielt, wird Gabe von einem Gangster brutal zusammengeschlagen: Tritte ins Gesicht, Sprünge aufs Knie, Schläge in die Nieren. – Das Widerliche daran ist nicht an sich die Gewalt, sondern die Mischung aus realistischer Drastik und Folgenlosigkeit für den Helden.
Jedes Mal rafft sich Gabe wieder auf, am Ende stemmt er seinen Feind in die Höhe und spießt ihn auf einen Stalaktiten.
Diese Szenen sind absolut verzichtbar und wurden gewissermaßen als kleine Beigaben, als kostenloser zusätzlicher Thrill in den Film aufgenommen. Zu seiner Rasanz tragen sie nicht das geringste bei. Die entsteht, wie immer in Bergdramen, aus dem Turnen an Abgründen und Überhängen. Die Landschaft wäre gewaltig genug gewesen. Thierry Chervel
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