: Keine Rente für verfolgte lettische Juden
Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth bietet bei einem Besuch in Riga lediglich die Mitfinanzierung eines jüdischen Altersheims an / Rente dafür für lettische SS-Angehörige ■ Aus Riga Anita Kugler
Die Bundesregierung wird den lettischen Juden, die Ghetto und Zwangsarbeit in nationalsozialistischen Konzentrationslagern überlebt haben, keine Entschädigung bezahlen. Dies teilte die Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth vergangenen Dienstag am Rande eines Blitzbesuchs in Riga dem Sprecher der „Vereinigung der überlebenden Opfer“, Alexander Bergmann, mit. Sie bekräftigte damit, daß das deutsche Entschädigungsgesetz nur für die Menschen galt, die in Staaten lebten, zu denen diplomatische Beziehungen bestanden.
Die individuelle Antragsfrist für die Juden aus Osteuropa lief 1965 aus. Zwar unterzeichnete Bonn im vergangenen Jahr einen 100-Millionen-Entschädigungsfonds mit der Jewish Claims Confererence für Verfolgte aus dem ehemaligen Ostblock, aber Renten aus diesem Fonds können nur die osteuropäischen Juden erhalten, die mindestens ein Jahr im Westen, Israel oder in den USA gelebt haben. Von den 75.000 Juden, die vor dem Krieg in Lettland lebten, haben die Massenerschießungen, das Ghetto und die Zwangsarbeit nur etwa 300 überlebt. 123 von ihnen, heute fast alle krank und auf die gesetzliche Minimalrente von 3.000 lettischen Rubeln (37 DM) angewiesen, haben sich nach der Unabhängigkeit in dem „Verband der ehemaligen Ghetto- und KZ-Häftlinge“ organisiert, um gemeinsam Ansprüche anzumelden und die nationalsozialistische Geschichte in Lettland nicht vergessen zu lassen.
Während des Fünf-Minuten- Gesprächs mit Alexander Bergmann versprach Rita Süssmuth eine Unterstützung, an die der Verband überhaupt nicht gedacht hatte. Die Bundesregierung wolle statt Renten oder einer einmaligen Zahlung den Bau und die Unterhaltung eines jüdischen Altersheims mitfinanzieren. Darüber hinaus versprach sie, eine private Spendensammlung in Deutschland zu organisieren. Dieses Angebot wird der Verband auf dem Mitte Juni stattfindenden Welttreffen der lettischen Juden in Riga besprechen. Mit Sicherheit werden viele dieses Altersheim-Angebot als demütigend empfinden. Marges Vestermanis, Leiter des Jüdischen Dokumentationszentrums in Riga und selbst Ghetto- und KZ-Häftling, belegt mit Dokumenten, daß eine deutsche Entschädigung keine „Gnade“, sondern „Recht ist“. Für eine Arbeitsbesprechung des für Lettland zuständigen Reichskommissariats Ost am 8. Mai 1942 habe dessen Finanzabteilung ausgerechnet, daß aus der Veräußerung jüdischer Immobilien 4,5 Millionen Reichsmark und aus der „Verwertung der Judenarbeit“ 5,5 Millionen Reichsmark in die Kassen des deutschen Reiches geflossen sind.
Die Ablehung schmerzt die überlebenden Juden besonders, weil die im Krieg verwundeten lettischen Angehörigen der „SS-Freiwilligen-Legion“ nach dem Bundesversorgungsgesetz Renten erhalten. Viele dieser Soldaten hatten sich vor ihrem Eintritt in die Waffen-SS 1943 an Judenerschießungen in Lettland und in Weißrußland beteiligt.
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