: Privatleben ist gestrichen
Die deutsche Volleyball-Nationalmannschaft startet mit zwei sensationellen Siegen gegen Brasilien in das lukrative Unternehmen Weltliga ■ Aus München Holger Gertz
Noch einmal in die Luft gesprungen, Rene Dellnitz und Oliver Heitmann, noch einmal die Arme hochgerissen zur Blockabwehr und eine lebende Mauer gebaut hinter dem Netz. Da kommt keiner durch, noch nicht einmal Marcelo Teles Negrao aus Brasilien, der beste Angreifer der Welt. Gewaltig schlägt er den Volleyball gegen die lebende Wand, der prallt zurück ins brasilianische Feld, und dann wackelt die Halle und aus den Lautsprechern wummert die Hymne aller Sieger: „We are the champions!“ 3:2 gewonnen haben die deutschen Volleyballer gegen den Olympiasieger aus Südamerika, in der Nacht zuvor schon hatte es ein 3:1 gegeben.
Eine Sensation im Doppelpack, zuviel des Glücks selbst für den beherrschtesten Mann. Weshalb Igor Prielozny, der Bundestrainer, heftig mit den Tränen ringen mußte, als er sein Resümee in die zahlreich entgegengestreckten Mikrofone sprach. Unvergeßliche Abende seien das gewesen, Sternstunden sogar deutscher Volleyballer, „wir sind traumhaft in die Weltliga gestartet.“ – Man muß die Bedeutung dieser Weltliga kennen, um des Bundestrainers Begeisterung nachempfinden zu können: Von Ruben Acosta, dem mächtigen Präsidenten des Weltvolleyballverbandes FIVB, stammt die Idee, die weltbesten Auswahlteams nicht nur bei der WM aufeinandertreffen zu lassen, sondern zusätzlich in einer jährlich ausgetragenen Liga. Mehr Spiele also, die die Popularität der Disziplin steigern sollen und die Einnahmen vervielfachen. Acosta aktivierte Werbepartner und verhandelte mit Fernsehstationen, 1990 startete der Wettbewerb mit acht Teilnehmern und einer Million Dollar Preisgeld. In diesem Jahr streiten zwölf Mannschaften um drei Millionen Dollar, der Gesamtetat der Veranstaltung beläuft sich auf fast sechs Millionen. „Daß wir dabei sein dürfen“, sagt Prielozny, „ist eine ungeheure Ehre“.
Ungeheuren Streß bringt die Teilnahme gleichfalls mit sich; wer einen Blick in den Terminkalender der Aktiven wirft, wird zu gleichen Teilen von Fernweh und Bedauern gepackt. Kommendes Wochenende stehen zwei Spiele gegen Rußland auf dem Plan, Spielort Moskau. Eine Woche darauf bittet das US-Team zum Kräftemessen in Arizona, die Reiseziele im Juli heißen Japan, Griechenland und Brasilien. An den Wochenenden dazwischen stehen die Heimspiele an. Privatleben? Ist praktisch gestrichen im Sommer, sagt Mannschaftskapitän Rene Hecht, der erst das Einverständnis von Frau und Tochter eingeholt hat, bevor er sich entschloß, „die Sache durchzuziehen“. Andere, die Prielozny gern integriert hätte, mußten passen. Der Dachauer Leif Anderson mißt berufliches Fortkommen mittlerweile Priorität bei, Georg Grozer, schlagstarker Star aus Moers, wird von Verletzungen geplagt, die Berliner Triller und Reimann können erst dann zur Mannschaft stoßen, wenn sie sich beruflicher Pflichten entledigt haben.
Zu den Problemen mit dem Personal kommen die mit dem Fernsehen. Weil die Sponsoren das Turnier via TV in alle Welt verbreitet sehen möchten, muß jede teilnehmende Federation großzügige Sendezeiten einer heimischen Anstalt garantieren. Im vergangenen Jahr, als die deutsche Mannschaft erstmals mitmachte (und sich mit dem vorletzten Platz ziemlich blamierte), sendete 3sat. Für ein neuerliches Engagement waren die Mainzer nicht zu haben, weil die Einschaltquoten zu gering waren. Diesmal werden alle Heimspiele vom Deutschen Sportfernsehen (DSF) übertragen, nachdem der Deutsche Volleyball-Verband den Privatfunkern mit 25.000 Dollar ausgeholfen hat: das DSF konnte die Übertragungsrechte nicht bezahlen. Daß bei diesen Schwierigkeiten auch in Zukunft ein deutsches Team in der Weltliga mitspielen wird, ist nicht gewiß. Da, sagt Delegationsleiter Hartmut Giebels, müsse man erstmal den Verlauf abwarten, „aber der Auftakt macht doch Mut“.
In jedem Fall sind die Siege gegen Brasilien Wegzehrung für die Prüfungen der nächsten Wochen. Gestern München, morgen Moskau, übermorgen Südamerika. „Da kommt einiges auf uns zu“, sagt Rene Hecht und bläst die Backen auf. Lang und beschwerlich sind die Wege zum Erfolg.
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