Buße außerhalb des Strafrechts?

■ Am Freitag werden die Karlsruher RichterInnen verkünden, ob, wie und unter welchen Bedingungen das neue Abtreibungsrecht der Verfassung entspricht.

Buße außerhalb des Strafrechts?

Was vor gut zwanzig Jahren noch heftige Diskussionen und Proteste, Demonstrationen und Selbstbezichtigungskampagnen auslöste, lockt Frau heute kaum noch aus der Reserve. Am kommenden Freitag wird das Bundesverfassungsgericht verkünden, ob, wie und unter welchen Bedingungen das neue Abtreibungsrecht verfassungswidrig oder verfassungskonform ist. Letztlich kann sich keine vorstellen, daß das Karlsruher Gruppenbild mit Dame die von der Mehrheit des Parlaments beschlossene Fristenlösung mit Zwangsberatung kippen wird. Immerhin, das ergaben Untersuchungen, spricht sich die Mehrheit der Bevölkerung für eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts aus. Denn abtreiben, auch das längst eine Binsenweisheit, werden Frauen ohnehin – egal, ob „erlaubtermaßen“ mit Frist oder Indikation, ob mit erzwungener Beratung oder ohne vorheriges Gespräch.

Selbst Strafen haben Frauen nie davon abgehalten und werden es nie tun – soweit reicht die Erkenntnis sicherlich auch in Karlsruhe längst. Außerdem ergeben Statistiken aus den Niederlanden, daß die dort Anfang der 70er Jahre eingeführte Fristenregelung (ganz ohne Zwangsberatung) nicht zu dem von „Lebensschützern“ immer heraufbeschworenen Abtreibungsboom geführt hat. Wer ernsthaft daran interessiert ist, Abtreibungszahlen zu senken, muß Bedingungen schaffen, in denen Frauen sich für ein Leben mit Kind(ern) entscheiden können, ohne dadurch sofort soziale Benachteiligungen zu erfahren. Ob diese Bedingungen durch Maßnahmen, die den neuen §218 flankieren und seit letztem Sommer Gültigkeit haben, gegeben sind, bleibt fraglich. Immerhin wackelt der derzeit noch für 1995 festgeschriebene Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz schon gewaltig. Es wäre also anachronistisch, wenn sich die Karlsruher RichterInnen von „Pro Life“-Argumenten leiten ließen.

Anachronistisch allerdings war auch schon der gesamte Kompromiß in Sachen 218. Allein die beteiligten Parlamentarierinnen, allen voran Inge Wettig-Danielmeier für die SPD und Uta Würfel für die FDP, mimten Zufriedenheit. Begeisterungsstürme von Seiten der Frauen, vor allem seitens der Frauen aus Ostdeutschland, erntete das neue Gesetz nicht. Warum auch. Nachdem auch noch die Unionsabtrünnigen unter Führung von Rita Süssmuth und Horst Eylmann ihr Scherflein zum Gesetzentwurf beigetragen hatten – immerhin mußte noch einmal deutlich gemacht werden, daß Schwangere, die abtreiben wollen, sich in einer Not- und Konfliktlage befinden –, stand er, der parteiübergreifende Kompromiß mit tragfähiger Parlamentsmehrheit. Die Abtreibung soll danach nicht rechtswidrig sein, wenn eine Frau mindestens drei Tage vor dem Eingriff eine Beratung absolviert hat.

Diese Beratung, so der Gesetzestext, dient ausdrücklich dem Lebensschutz. Da kamen Freudentränen auf, als der zäh errungene, realpolitisch einzig machbare §218 im Bundestag mit 357 der 662 Stimmen verabschiedet wurde. Selbst Alice Schwarzers Emma stimmte in den realpolitischen Taumel um die Fristenregelung mit Beratungszwang ein, betätigte sich gar als drohende Outerin aller Abtrünnigen, die sich dem Kompromiß verweigerten.

In keinem Land der Welt gibt es solch eine sonderbare Fristenlösung. Sie ist eben typisch deutsch, entstanden als bürokratisch- rechtsgläubiger Kompromiß. Kommt er, wie zu vermuten ist, durch, so müssen Frauen wieder ein bürokratisch kontrolliertes Verfahren durchlaufen, brauchen sie einen Persilschein für den straffreien Schwangerschaftsabbruch. Kein Mann ließe sich das gefallen, ginge es um sein Selbstbestimmungsrecht. Aber das Selbstbestimmungsrecht der Frau steht im Fall ihrer Gebährfähigkeit ja auch nicht zur Diskussion.

Besänftigende Töne dann von Seiten der Politikerinnen, als Unionsabgeordnete und das Land Bayern ihre Verfassungsklagen aus der Schublade zogen. Damit hatten mann und frau gerechnet. Nicht umsonst hatten sich die JuristInnen von SPD und FDP bei der Ausformulierung des neuen Rechts allzu strikt an den Wortlaut des Verfassungsgerichtsurteils von 1975 geklammert, um den neuen §218 auch ja hieb und stichfest zu machen. Ein Kraftakt, der nach Ansicht verschiedener Juristinnen verfassungsrechtlich nicht nötig gewesen wäre. Denn egal ob Monika Frommel, Strafrechtlerin an der Universität Kiel, ob die Juristinnen Dagmar Oberlies oder Helga Wullweber – sie alle halten die derzeit in den neuen Bundesländern gültige DDR-Fristenregelung ohne Beratungszwang für verfassungskonform. Und der Frankfurter Verfassungsrechtler Erhard Denninger, der die Bundestagsmehrheit in Karlsruhe vertritt, argumentierte in der öffentlichen Verhandlung letzten Dezember stets damit, daß der neue §218 ein Lebensschutzgesetz sei. Denn den KlägerInnen, den mehr als 200 Herren und einigen Damen der christdemokratischen Union und den bayerischen AlpenanwohnerInnen, geht es um den Schutz des sogenannten ungeborenen Lebens. Um das geborene Leben scheren sie sich dagegen so gut wie nie. Paradox, daß sie sich bei weitem nicht so zimperlich anstellen, wenn ein Embryo nicht ganz der erwarteten Norm entspricht, wenn er möglicherweise genetisch bedingte Erbschäden mit sich ins Leben bringen könnte. Denn gegen die eugenisch begründete Abtreibung sprechen sich diese Damen und Herren nicht aus. – Bleibt abzuwarten, wie Karlsruhe diesen Lebensschutz- Ambitionen Rechnung tragen wird. Immerhin gilt es, zum einen die soziale Indikation (Bayern- Klage von 1990), zum anderen das neue Abtreibungsrecht zu beurteilen.

Was letztlich dabei herauskommt, ob Fristenzwangsberatung oder bisheriges Indikationsmodell, könnte Frauen zumindest im Norden und Westen der Republik egal sein. Wäre da nicht noch der Dreh mit der Krankenkassenfinanzierung. Schon in der öffentlichen Verhandlung begab sich das Karlsruher RichterInnenteam auf die Suche nach Möglichkeiten, wie abtreibende Frauen außerhalb des Strafrechts zu bestrafen seien. Kein Zufall, daß sie dabei auch die Lohnfortzahlung und die Finanzierung des Eingriffs durch gesetzliche Krankenkassen unter die Lupe nahmen.

Immerhin versuchen AbtreibungsgegnerInnen schon seit Jahren, diesen unerträglichen Zustand, der nach Ansicht des Verfassungsrichters Winter der Gewährung von Drogen und Alkohol auf Krankenschein gleichkommt, aus der Welt zu schaffen. Und wenn's denn gar nicht anders geht, soll Frau wenigstens finanziell Buße tun. Ein Arzt erhält von der Kasse für den Abbruch einer Schwangerschaft derzeit etwa 170 Mark. Doch keine Sorge, privat bezahlt kommt's teurer. Da belaufen sich die Kosten derzeit schon auf 350 bis 700 Mark. Der Marge nach oben sind natürlich im Spiel der freien Kräfte keine Grenzen gesetzt, wenn Schwangerschaftsabbrüche künftig den Gesetzen der freien Marktwirtschaft unterworfen sind.