: Sparen & Sozialhilfe senken
■ Die Arbeitgeberverbände und die Armut
Die Wohlfahrtsverbände lassen heute das Thema „Armut“ öffentlich diskutieren. Arbeitgeber sind auf dem Podium nicht vertreten. Die taz fragte die Arbeitgeberverbände, die sich als sozialpolitische Interessenvertretung der bremischen Unternehmen verstehen, nach ihren Berührungspunkten mit Armut.
taz: Entwickeln die Arbeitgeberverbände sozialpolitische Konzepte gegen Armut?
Ortwin Baum, Geschäftsführer der Unternehmensverbände im Lande Bremen:Das wichtigste Konzept gegen Armut ist, daß alle Menschen, die arbeiten wollen, auch einen entsprechenden Arbeitsplatz haben. Dies können wir als Unternehmen auch versuchen, anzustoßen. Die Schaffung von rentablen Arbeitsplätzen muß im Vordergrund stehen.
Im Armutsbericht der Wohlfahrtsverbände steht, daß 20 Prozent der BremerInnen unterhalb der Armutsgrenze leben.
Wer das behauptet, der muß mir zunächst sagen, welchen Armutsbegriff er hat. Ich bestreite diese Zahl. Man spricht heute von absoluter Armut und meint damit die Situation von Menschen, denen es am Nötigsten fehlt, bei denen Hunger herrscht. Eine solche Situation haben wir in der Bundesrepublik nicht. Hier gibt es immer noch das Auffangnetz der Sozialhilfe. Es gibt allerdings noch den Begriff der relativen Armut, wobei man sich an den durchschnittlichen Sozialhilfesätzen orientiert. Dieser relative Maßstab ist sicher zu problematisieren, weil er willkürlich gesetzt ist.
Wir können uns jedenfalls in unserer Tarifpolitik an solchen willkürlich gesetzten Armutsgrenzen nicht orientieren. Der Orientierungsmaßstab für Tariflöhne ist immer noch die Rentabilität des Arbeitsplatzes. Wir müssen uns daran orientieren, was das einzelne Produkt, das an diesem Arbeitsplatz hergestellt wird, auf dem Markt einbringt — ob es wettbewerbsfähig ist.
Die Sozialhilfe soll — nach dem Lohnabstandsgebot — noch unter den niederen Einkommensgruppen liegen. Doch auch die haben in vielen Bereichen nicht Teil am gesellschaftlichen Wohlstand. Muß man für sie, gerade bei kinderreichen Familien, nicht spezielle Instrumente entwickeln, um die Steigerung der Lebenshaltungskosten ausgleichen zu können?
Es ist richtig, daß die Sozialhilfesätze heute zum Teil über den Tarifen, Löhnen und Gehältern der unteren Lohngruppen liegen. Ich halte dies für eine Fehlentwicklung. Die Entwicklung kann aber nicht dahin gehen, daß wir deshalb eine überproportionale Anhebung — losgelöst vom Markt — bei den Tarifen vornehmen. Wir müssen dazu kommen, daß die in der Vergangenheit viel zu hoch angesetzten Sozialhilfeleistungen reduziert werden.
In Zeiten des konjunkturellen Abschwungs werden die betrieblichen Sozialleistungen als erste gestrichen. Das macht bei manchen bis zu 600 Mark im Monat aus. Führen Sie darüber Diskussionen mit ihren Mitgliedern?
Ich bestreite, daß dies ein genereller Trend ist. Aber in Zeiten, in denen die Betriebe durch übermäßige Tariflohnsteigerungen in Anspruch genommen werden, wie in den vergangenen vier Jahren, werden andere Leistungen natürlich gestrichen.
Wir in Bremen müssen nun vor allem dafür sorgen, daß wir das Sanierungsprogramm, das ein erhebliches Investitionssonderprogramm enthält, wirklich in die Tat umsetzen und auf diese Weise zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Die werden helfen, ABM-Maßnahmen abzuschaffen, damit wir rentable Arbeitsplätze erhalten.
Im Rahmen des föderalen Konsolidierungsprogramms sind viele Sparmaßnahmen im Gespräch. Wir müssen zu einer Umschichtung, und nicht etwa zu einer Ausweitung der sozialen Maßnahmen kommen. Es muß auch mehr Eigenverantwortung des einzelnen in die Sozialpolitik einfließen. Und auf der regionalen Ebene müssen Privatisierungen öffentlicher Leistungen ins Auge gefaßt werden. Interview: Birgitt Rambalski
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