piwik no script img

Mobile Finessen – Stabiler Humor

Von mobilen Mobiles zu stabilen Stabiles: Eine Ausstellung Alexander Calders in Bonn  ■ Von Thomas Fechner-Smarsly

Kunst ist die professionalisierte Form des Spieltriebs. Im Falle Alexander Calders ist sie mehr als das: ein Balanceakt zwischen technischer Improvisation und präziser Tüftelei. Calder verschweißt Gegensätze zu einer virtuosen akrobatischen Nummer, hervorgezaubert aus einem alten Ingenieur- Baukasten. Die Bonner Bundeskunsthalle hat für die Arbeiten des Künstlers nur ihren geräumigen Dachgarten und ein etwas größeres Spielzimmer zur Verfügung gestellt. Zu sehen sind zwei Anrichten seiner Skulpturen: die ganz großen und die ziemlich kleinen.Leider findet sich eine seiner ersten Arbeiten nicht darunter, weil die Besitzer sie wegen ihrer Fragilität nicht ausleihen: ein kompletter Miniatur-Zirkus, in den zwanziger Jahren zusammengebastelt aus Eisendrähten und Korken, Gummibändern und Zwirn. Und den führte er allen Besuchern in einem Pariser Hotelzimmer, seinem damaligen Wohnsitz, gutgelaunt und bereitwillig vor. Neben dem Sinn für Spaß enthält das frühe Werk bereits die Elemente, mit denen sich Calder für den Rest seines Lebens auseinandersetzen sollte: Bewegung und Balance.Nachdem er 1929 in die USA zurückgekehrt war, bastelte er die ersten „Mobiles“. Zuerst noch von einem kleinen Motor und über einen Transmissionsriemen betrieben, erinnern manche an konstruktivistische Pendeluhren oder ausgeschlachtete Spielautomaten. Die späteren, bei denen Aluminiumbleche an langen, geschwungenen Stahlstangen befestigt wurden, waren so ausbalanciert, daß ein leichter Schubs mit der Hand oder manchmal nur der Wind genügte, um sie in schwingende Bewegung zu versetzen. Auch von diesen geflügelten und grazilen Schwebeobjekten, die ihn berühmt machten, sind in der Bonner Ausstellung nur ganz wenige – und ganz winzige – zu sehen. Was also bringt die Schau eigentlich? Statt auf die hinlänglich bekannten Mobiles konzentrierte sich der Intendant der Bundeskunsthalle, Pontus Hulten, auf ihre komplementären Kraftakte, die schwarzen und wuchtigen „Stabiles“ sowie auf den weitgehend unbekannten, den „anderen Calder“.Dieser andere Calder, das ist nicht nur der kleinteilige Künstler, sondern auch der große Junge, der sich sein Spielzeug selber biegt und dreht und falzt – aus Blech und Draht. (Selbst ausgebildeter Ingenieur, entwarf er immer wieder Spielzeug und auch Schmuck.)In den Arbeiten der späten zwanziger und der dreißiger Jahre stellte er Figuren und Figurinen aus Eisendraht her: eine dralle, mit scheppernden Armringen behängte Negerin, ein Akrobat im Augenblick tiefster Verrenkung, ein Porträt seines Freundes und Lehrers Fernand Leger oder das Gesicht Kikis, einer der Schönen von Montparnasse.Es sind eigentlich gar keine Skulpturen, sondern „Zeichnungen im Raum“, von eleganter Biegsamkeit und verspielter Genauigkeit, irgendwo angesiedelt zwischen flüchtiger Skizze und Karikatur.Während des Zweiten Weltkrieges konnte Calder kein Aluminium für seine Mobiles bekommen, weil es für die Waffenproduktion beschlagnahmt war. Also verfiel er auf die „Constellations“: kleine, bemalte Holzstücke, die er mit Drahtstangen zu abstrakten Gebilden verstöpselte. Von allen seinen Arbeiten dem Surrealismus am nächsten, erinnern sie an die leeren Räume von Yves Tanguy, mit dem Calder auch gemeinsam ausstellte.An den späten Kleinplastiken fällt eine entspannte Rückkehr zur Figuration auf: Calders Zoo könnte man diesen Bogenschlag nennen. Da gibt es das Fisch-Mobile im Gräten-Look, den Hahn aus Konservendosen und die kleine Schlange aus gefaltetem und gemaltem Blech. Manches liegt durchaus in der Nähe zum Kunsthandwerk. Dennoch, Calder entzieht sich der Gefahr, bleibt witzig und bizarr, mit dem Blick für das wesentliche Detail statt für die gekonnte Imitation.Doch als hätte er genug gehabt von der unerträglichen Leichtigkeit eines Daseins als Kunstclown, konterte er seit den fünfziger Jahren mit kantigen, klobigen Stahlmonstern, schraubte und schweißte kokett an einer Ästhetik des Häßlichen. Die Stabiles – Schrecken und Ergötzung aller Fußgängerzonen und Bahnhofsvorplätze – ragen spitz, schwarz und tonnenschwer ins jeweilige Stadtbild. Aber mit dem ihm eigenen Humor unterlief er wiederum diese Anstrengung zur Provokation. Die Skulpturen wölben sich wie Walfischflossen, buckeln wie Katzen und staksen wie Störche auf ihren stählernen Füßen, doch immerzu und irgendwie grazil. Und wenn das alles nicht reicht, setzt er auf die Spitze noch ein kleines Mobile mit Wimpeln wie an einer querliegenden Fahnenstange.Elf dieser großen Skulpturen zeigt die Ausstellung – eine befindet sich vor dem Eingang der Halle, die übrigen wurden mit einem Kran auf den Dachgarten gehievt. Nicht nur wegen dieser monumentalen Stahlkonstruktionen ist Calder eine Ausnahmeerscheinung unter den Bildhauern und Plastikern des 20. Jahrhunderts. Alles andere als eine Randfigur, findet sich bei ihm allerlei zur Synthese vereinigt und manches vorweggenommen: der Schrott und die Bastelei, die Motorisierung der Skulptur und die Suche nach einem kinetischen Gleichgewicht, nach der vollkommenen Schwebe im Raum. Man muß wahrhaftig kein Anhänger irgendeiner Form der modernen Kunst sein, um diese Sachen zu mögen. Und natürlich kann man die düster-freundlichen Ungetüme einfach für bizarre Klettergerüste eines Spielplatzes im Aufbau halten. Die Kinder tun es. Und Calder auf dem Dach hätte es bestimmt gefallen – mit oder ohne Propeller.

Alexander Calder. Die großen Skulpturen und Der andere Calder. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn. Bis zum 30. Sept., Katalog 38 DM.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen