: „Die Atmosphäre wird sich verschlechtern“
■ Interview mit Ignatz Bubis, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland
taz: Herr Bubis, was halten Sie von der Änderung des Asylrechts?
Ignatz Bubis: Ich bedauere, daß es überhaupt eine Änderung geben wird. Ich meine, man hätte das alles mit verwaltungstechnischen Maßnahmen verhindern können. Daß es einen Mißbrauch gegeben hat – ich übernehme damit nur die Formulierungen der anderen –, steht außer Frage, die Anerkennungsquoten waren sehr gering. Nur, um das zu vermeiden, hätte man ganz einfach das Beschleunigungsgesetz konsequent anwenden und eine viel höhere Zahl von Sachbearbeitern haben müssen, so daß ein Antrag nicht fünf bis sechs Jahre bearbeitet wird. Denn wenn man dann zu einem ablehnenden Ergebnis kommt, begeht man neues Unrecht. Ich finde, daß wir (noch) ein hervorragendes Grundgesetz haben, das beste, das es auf deutschem Boden je gegeben hat. Das sollte man bewahren.
Deckt sich Ihre Auffassung, Ihr Engagement mit der Stimmung in den Jüdischen Gemeinden?
Es gibt in den Jüdischen Gemeinden Menschen, die meinen, wir sollten bei diesen Fragen nicht mitreden – zum Teil aus einer gewissen Ängstlichkeit, daß das Antisemitismus schüren könnte. Ich sehe das ganz anders. Ich finde, daß ein Eintreten für Mitmenschlichkeit und für Menschen, die in Not sind, nicht deshalb fallengelassen werden sollte, weil das möglicherweise zum Antisemitismus führt. Die Humanität steht im Vordergrund. Deshalb vertrete ich diese Auffassung und weiß mich mit der großen Mehrheit der Jüdischen Gemeinschaft im Einklang.
Sehen Sie Zusammenhänge zwischen der Asyldebatte und den gewalttätigen Übergriffen?
Natürlich haben die Diskussionen um das Asylrecht überhaupt erst zu diesen Auseinandersetzungen geführt. Hätte es sie nicht gegeben und hätte man von vornherein gesagt: Wir wollen die gesetzlichen Möglichkeiten gegen Unberechtigte anwenden und konsequent durchführen, dann bräuchte man diese leidige Diskussion nicht. Und es war nicht zuletzt diese Diskussion, die bei manchen Menschen die Hoffnung geweckt hat: Jetzt haben wir das Problem gelöst. Am Ende werden sie enttäuscht sein, weil ich nicht glaube, daß sich allzuviel ändern wird.
Ihre Befürchtungen wären vielmehr ...
... daß viel mehr Illegale bei uns sein werden, und das bedeutet mehr Kriminalität.
Und für die Atmosphäre ...
... ist das sehr schädlich. Die Atmosphäre, die schon ohnehin nicht sonderlich freundlich ist, wird sich noch einmal verschlechtern. Zunächst werden viele denken, daß das Problem gelöst ist. Wenn sie merken, daß dem nicht so ist, wird das Klima erst recht härter werden.
Die Parteien, die den Kompromiß geschlossen haben, bezweckten damit ja auch, den Einfluß der „Republikaner“ und anderer Parteien am rechten Rand einzudämmen.
Sicherlich haben sie das geglaubt, aber das ist ein Trugschluß. Man kann nicht Wähler, die zu den „Republikanern“ übergelaufen sind, dadurch zurückgewinnen, daß man deren Positionen übernimmt. Sicherlich wollen die „Republikaner“ viel weiter gehen. Sie wollen den Artikel 16 ganz abschaffen. Aber die Asylrechtsänderung ist doch ein populistisches Nachgeben gegenüber den Radikalen. Das wird aber die Wähler nicht zurückholen.
Sie haben sich für die doppelte Staatsbürgerschaft engagiert ...
Es hat mich positiv überrascht, daß der Bundeskanzler sich dazu geäußert hat und die Bereitschaft erkennen ließ, wenigstens für eine vorübergehende Zeit eine doppelte Staatsbürgerschaft anzuerkennen. Ich hoffe, daß er sich damit bei seiner eigenen Partei, aber besonders auch bei der CSU wird durchsetzen können.
Noch einmal zum Klima in der BRD. Die letzten Monate waren ja auch die Monate der Lichterketten. Hat das Spuren hinterlassen?
Absolut. Die Lichterketten wirken bis heute nach. Zwar haben wir immer noch Gewalt. Es ist schlimm genug, daß es auch noch im März durchschnittlich fünf rechtsradikale Übergriffe pro Tag gegeben hat. Aber es ist doch vielen Menschen, auch den Gewalttätern, bewußt geworden, daß die Mehrheit gegen Gewalt ist.
Gibt es in Ihrer Gemeinde zur Zeit eine zunehmende Abwanderung?
Nein, es gibt eine größere Nachdenklichkeit, aber keine Abwanderung. Interview: Tissy Bruns/
Julia Albrecht
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