„Kein Zweifel, es ist ein ganz schlechtes Gesetz“

Viele SPD-Politiker, die bei der heutigen Abstimmung über die Neufassung des Asylgesetzes mit der Union paktieren werden, tun dies mit Bauchschmerzen. Schon vor den Petersberger Beschlüssen agierte die SPD stets aus der Defensive heraus.

„Das Gesetz ist schlecht, ja kein Zweifel, es handelt sich um ein ganz schlechtes Gesetz. Aber ich werde trotzdem dafür stimmen.“ Günter Verheugen, obwohl erst seit der Wende der FDP 1982 Mitglied der sozialdemokratischen Traditionspartei, präsentierte sich den Fernsehzuschauern am Montag abend wie die Verkörperung des statistischen Mittels der Partei: die ganze Misere in einer Person gebündelt. Er werde zustimmen, erläuterte er mit traurigem Augenaufschlag. Damit das Thema endlich vom Tisch komme und nicht mehr als Knüppel in der öffentlichen Debatte verwendet werden könne. Damit Raum werde, wieder über sachliche Lösungen zu diskutieren.

Damit griff Verheugen noch einmal die Stichworte auf, die die Debatte innerhalb der SPD seit Jahren beherrschen. Der eigentliche Beginn der Auseinandersetzung, die heute mit der Revision des Grundgesetzes endet, begann 1978. In jenem Jahr, daran erinnerte einer der übelsten Hetzer innerhalb der CDU/CSU während der ersten Lesung zur Änderung des Artikel 16 im Januar, Edmund Stoiber, kamen erstmals mehr als 100.000 Menschen in die BRD, die sich auf das individuelle Grundrecht auf Asyl beriefen. Seitdem hatten Stoiber und Co. ein Thema, das sich wachsender Popularität erfreute und in bis dato einmaliger Weise über einen so langen Zeitraum instrumentalisiert wurde.

Mit der Variation des immer gleichen – die Welle, die uns überschwemmt, das Boot, das bereits bis an den Rand gefüllt sei, die Bedrohung deutscher Identität durch die Armutswanderung aus dem Süden und zuletzt, immer stärker, der offene Hinweis auf die Bedrohung des eigenen Wohlstands durch die Fremden – entfachte die CDU im Schlepptau von Reps und anderen Rechtsradikalen eine Kampagne, der die SPD schon bald nichts mehr entgegenzusetzen hatte.

Die Vorgeschichte zu dem heutigen Einbruch der sozialdemokratischen Asylpolitik ist lang, die Diskussion bewegte sich um etliche Ecken und hatte doch einen deutlich erkennbaren roten Faden: Die SPD war immer in der Defensive, sie hat nie eine offensive Position für einen neuen Umgang mit dem Problem zunehmender Immigration entwickelt, sondern die Einschränkung des Asylrechts auf Raten bis zum bitteren Ende mitgetragen. O-Ton Georg Kronawitter, SPD-Oberbürgermeister von München: „Wir können uns das nicht mehr leisten. Wir schaffen es nicht, das Auffangbecken für alle Armen in der Dritten Welt zu sein. Das sind eine Milliarde Menschen und mehr.“ Eine Milliarde im Ansturm auf die Bundesrepublik? Kronawitter besteht nicht auf der Milliarde, aber, ohne eine Änderung des Grundgesetzes „wären bald zehn Millionen Leute bei uns. Wir würden einen Volksaufstand kriegen.“

Über die 80er Jahre beteiligte sich die SPD deshalb regelmäßig an sogenannten Novellierungen des Asylverfahrensrechts, die allesamt das Ziel hatten, die tatsächliche und rechtliche Situation von Asylbewerbern zu verschlechtern, um potentielle Flüchtlinge vom Zielort BRD abzuschrecken und die Verfahren derjenigen, die trotzdem kamen, weiter zu beschleunigen.

Der eigentliche Dammbruch aber kam 1990. Im ersten Bundestagswahlkampf nach der Vereinigung dachte der damalige SPD- Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine laut darüber nach, der CDU bei einer Grundgesetzänderung entgegenzukommen. Hatte er bis dahin vor allem den ungebremsten Zuzug Deutschstämmiger aus der Sowjetunion als Volkstümelei gegeißelt, ließ er jetzt durchblicken, daß er sich auch einen Handel: Asylbewerber gegen Volksdeutsche vorstellen könnte. Die Partei schien geschockt, beteuerte ihre unverbrüchliche Treue zum Grundgesetz und ließ ansonsten den von Lafontaine einmal begangenen Tabubruch weiter wirken.

Nach dem saarländischen Landeschef kam innerhalb der SPD die Stunde der Kommunalpolitiker, allen voran der bereits zitierte OB Kronawitter. Aber auch der Bremer Bürgermeister Wedemeier und die Betonriege der Ruhrgebietspatriarchen waren mit von der Partie. Einhelliger Tenor: Die Kommunen können nicht, aber vor allem wollen nicht mehr mit Flüchtlingen belastet werden.

Der vorläufige Höhepunkt kam dann im Herbst 91. Der von der Politik seit Jahren herbeigeredete „Volksaufstand“ hatte in einem bis dato völlig unbekannten Kaff in Brandenburg Premiere. Frustrierte Jugendliche, angeleitet von Rechtsradikalen und unterstützt vom Mob von nebenan gingen in Hoyerswerda so lange mit Steinen und Brandsätzen gegen eine Flüchtlingsunterkunft vor, bis diese nach einer Woche „Aufstand“ geräumt wurde.

Nahezu zeitgleich verschickte der damalige Generalsekretär der CDU, Volker Rühe, ein Strategiepapier an alle Parteigliederungen, in dem diese aufgefordert wurden, das Thema Asyl weiter hochzuspielen, um die SPD in die Ecke zu drängen. Rühe erfand die „SPD- Asylanten“, die kämen, weil die Sozialdemokraten sich einer Grundgesetzänderung widersetzten. Diese Anleitung zur Volksverhetzung zeigte prompt Wirkung. Unter Federführung der Rechtspolitikerin Hertha Däubler-Gmelin entwickelte die SPD das ultimative Beschleunigungsgesetz, auf dessen Grundlage jedes Asylverfahren in vier Wochen abgewicklelt werden soll. Die CDU bedankte sich, griff zu und verkündete gleichzeitig, dies würde aber nicht reichen. Während sich nach Hoyerswerda Angriffe auf Fremde häuften, verstand es die CDU überaus geschickt, den Grundgesetzartikel als Ursache des Rassismus in Deutschland zu verunglimpfen.

Seit Björn Engholm den Parteivorsitz der SPD übernommen hatte, war von ihm lange Zeit in der gesamten Diskussion wenig zu hören. Schon deshalb erlebte die Öffentlichkeit die sogenannten Petersberger Beschlüsse vom September 92 dann als einen Paukenschlag. Eindrucksvoll demonstrierte Engholm, was er unter Opposition versteht. Im Paket bot er der CDU eine Änderung des Artikel 16 und den out of area-Einsatz der Bundeswehr an; die daran geknüften Bedingungen waren so wachsweich, daß den Profis in der Union natürlich nicht entging, daß Engholms Ziel nicht etwa die Durchsetzung eines Einwanderungsgesetzes, die Änderung des Staatsbürgerrechts oder die Einführung einer doppelten Staatsbürgerschaft war. Engholm wollte den Befreiungsschlag, die Themen sollten vom Tisch.

Seit Petersberg wußten Kohl und Schäuble, daß sie im Kampf gegen die SPD mit Engholm und Klose zwei prominente Partner gewonnen hatten. Der Rest war ein Trauerspiel – mit dem bekannten Ausgang. Da der Geniestreich vom Petersberg am selben Wochenende verkündet wurde, an dem das Pogrom in Rostock begann, bäumte die Partei sich noch einmal auf. Doch alle Versuche, Klose als Unterhändler der Partei an die Leine von Parteitagsbeschlüssen zu legen, scheiterten. Klose und die SPD bekamen einen dekorativen Artikel 16a, der nichts mehr nützt, da die Regierung Kohl die Republik mit „sicheren Drittstaaten“ umstellt hat. Jürgen Gottschlich