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Schonfrist für Tegel?

■ Kläger verlangen drastische Reduzierung des Flugbetriebs in Tegel: Oberverwaltungsgericht vertagte Entscheidung

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) hat gestern noch keinen Beschluß zur Zukunft des Flughafens Tegel getroffen. Nach halbtägiger Verhandlung vertagte der 2. Senat die Entscheidung über die Klage von drei Flughafen-Anwohnerinnen, bis Lärmmessungen auf deren Grundstücken durchgeführt worden sind. Die Klägerinnen, die stellvertretend für andere Anwohner und die „Bürgerinitiative gegen das Luftkreuz“ vor Gericht gezogen sind, fordern den Widerruf der Betriebsgenehmigung des Flughafens bis zum 31. Dezember 1999 beziehungsweise zum Zeitpunkt „der Eröffnung anderer Flughafenkapazitäten außerhalb der Stadt“. Für die Übergangszeit beantragen sie umfangreiche Einschränkungen des Flugbetriebes, wie eine Verlängerung des Nachtflugverbotes zwischen 22 und 7 Uhr, an Samstagen, Sonn- und Feiertagen sogar bis 9 Uhr (jetzt 23 bis 6 Uhr). An Sonntagen sollen auch zwischen 13 und 15 Uhr keine Flieger starten oder landen dürfen, wenn es nach dem Willen der Klägerinnen geht. Um zu verhindern, daß das Verbot unterlaufen wird, soll auch für verspätete Flüge keinerlei Ausnahme mehr gemacht werden. Außerdem müsse Berlin „durch geeignete Maßnahmen“ sicherstellen, daß der Lärmpegel auf den Grundstücken der Klägerinnen in den sechs flugverkehrsreichsten Monaten 62 Dezibel nicht überschreitet. Davon wären nach Angaben der Kläger 200.000 Menschen betroffen.

Das Berliner OVG hat damit zum ersten Mal über einen luftverkehrsrechtlichen Fall zu befinden, aber das nächste Verfahren folgt gewiß: Auch die Anwohner des Flughafens Tempelhof klagen auf Schließung der Anlage bis 1996. In beiden Fällen werden die Kläger vom Büro des früheren Umweltstaatssekretärs der rot-grünen Koalition, Klaus-Martin Groth, vertreten. Daß das OVG dem Land Berlin gestern aufgab, den Dauerschallpegel auf den Grundstücken der Klägerinnen sowie den „Höhen- und Spitzenschall“ unter Berücksichtigung der Lärmschutzfenster zu ermitteln, bezeichnete Groth als ersten Teilerfolg. Er und die Klägerinnen bezweifeln nämlich, daß die bisher vom Land Berlin angegebenen Zahlen korrekt sind. Die gegnerischen Anwälte Klaus Finkelburg und Volker Diesselberg hatten sich während der Verhandlung hartnäckig gesträubt, neue Messungen zu veranlassen. Die Anordnung des Gerichts „sagt über die eigentliche Frage nichts aus“, gab Diesselberg sich nach Prozeßende gelassen.

Derzeit starten und landen täglich in Tegel rund 300 Maschinen. Das Land Berlin vertritt, es könne den am 3. Oktober 1990 von den Alliierten übergebenen Flughafen laut Überleitungsgesetz „bis an die Grenzen der Kapazität ausnutzen“. Der Klagevertreter Groth ist strikt dagegen: Der Flughafen habe nach der Öffnung der Grenzen nichts mehr in einem Wohngebiet verloren. Die Anlage könne zwar nicht sofort geschlossen werden, aber die Betriebsgenehmigung müsse bis zu einer endgültigen Lösung zum Schutze der Anwohner mit Auflagen versehen werden. Eine Entscheidung über den Standort eines neuen Berlin- Brandenburgischen Großflughafens soll bis Ende 1994 fallen. Plutonia Plarre

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