Blut als Schicksal

Jung, stark, schön und stolz: Die Männer in Hackfords „Blood in...Blood out“  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Als „Epos über das unvergleichliche Lebensgefühl der Chicanos in East-LA und zugleich einer der härtesten Gefängnisfilme, die je gedreht wurden“ wird der jüngste, ziemlich ausufernde Streifen von Taylor Hackford („Ein Offizier und Gentleman“) angekündigt. Der Film sei wie ein Gegenstück zu „Der Pate“. Viel eher steht „Blood in...Blood out“ jedoch in der Tradition klassischer Initiations- und Jugendgangstreifen.

Der rebellische Sohn, der Held, Miklo Velka (Damian Chapa) schlägt den Vater und kehrt zurück zum Ursprung – zu Heimat und Blut, zur Chicano-Mutter ins wilde Latinoviertel East-LA. Trotz heller Haut und strahlend blauer Augen fühlt sich der meist im Muscleshirt herumstolzierende Rebell als Chicano. Doch damit hat er's schwer, denn die anderen braunen Protagonisten des Brüderfilms – seine Cousins Paco (Benjamin Bratt), der halbstarke Held des Viertels und Cruz (Jesse Borrego), ein malernder Jung-Künstler – erkennen ihn wegen seiner Hautfarbe nicht an. Um in ihre ethnisch saubere Gang zu kommen, muß er eine Mutprobe bestehen. Nachdem er die Scheibe des Autos einer feindlichen Gang zerschlagen hat, bekommt er unter Schmerzen das Tattoo der „Vatos Locos“ verpaßt. Dann wird schön gefeiert.

Neben dem Plattenspieler steht eine Jefferson-Airplane-Platte als einziges Zeichen dafür, daß wir uns im Beginn der 70er Jahre befinden. Mit einem jungen Mädchen verläßt Cruz die Feier und knutscht – übrigens in der einzigen Kußszene des Films – wild im Wagen herum. Doch die Bruderhorde wird erwachsen nur im Kampf, in wilden, brutalen, exzellent gefilmten Jugendgangschlachten. Ein Mitglied der gegnerischen Bande wird erschossen, Miklo schwer verletzt. Ein Bruch ist geschehen, und andere Initiationen stehen nun bevor: Während Cruz nach langwiergen Krankenhausaufenthalten als drogensüchtiger Künstler arriviert und immer wieder die wilden stolzen Jungs seines Viertels porträtiert, Paco bei der Armee zum verantwortungsbewußten Mann sich läutert, landet Miklo, das Halbblut, im Knast.

Die im San Quentin State Prison mit Originalgefangenen gedrehten Passagen gelten als Paradestück des Films. Ultrahart und superauthentisch zeigt sich die toughe Welt verworfener Männer. In etwa sei es auch in Wirklichkeit so, fand der Originalgefängnisdirektor Dan Vasquez. Die Bilder sind beeindruckend – ein offener Gefängnishof, auf dem ein paar hundert sehr gefährlich wirkende Männer an Hanteln in der heißen Sonne trainieren, fiese tätowierte Gestalten, an denen sich die Kamera wie an Raubtieren weidet, Gefängniskantinen, die irgendwie traulich an heruntergekommene Unimensen erinnern. Sehr genau arbeitet der Film das Paradox oder Klischee der Gefängniswelt heraus: die, die sich an den Gesetzen der geordneten Gesellschaft vergreifen, finden sich zur Strafe in einen gesetzlosen Raum verstoßen, in dem allein das Gesetz des Stärkeren zählt. Die Gefängniswelt ist eine in ethnischen Blutsbanden organisierte Männergesellschaft. Außenseiter gibt es nicht.

Drei Gangs, die sich außer ihrer Hautfarbe nicht weiter unterscheiden, kontrollieren den Knast: die weißen Rocker haben sich meist mit Hakenkreuzemblem als „Aryan Vanguards“ organisiert, die Schwarzen kämpfen als „Black Guerilla Army“ um die Macht, die Chicanos schließlich haben sich in der „la Onda“ zusammengefunden. Denn das Blut fühlt sich nur beim eigenen Blut wohl.

Draußen verschuldet Cruz, der Maler, als verantwortungsloser Drogenuser den Tod seines kleinen Bruders, der die achtlos herumliegende Spritze neugierig ausprobiert. Papa und Mama verstoßen ihn, dennoch reüssiert er als wilder Maler, als „the soul of the barrio“. Bei seiner umjubelten Ausstellungseröffnung kauft die weiße Upperclass alle Bilder. Paco, der dritte im Bunde, ist ein guter Mensch geworden. Schwer beeindruckt von drogensüchtigen Straßenkindern arbeitet er bei der Drogenfahndung und trifft in einer sentimentalen Schlüsselszene Miklo, der als Musterschüler aus dem Knast entlassen, auf der Suche nach ehrlicher Arbeit vom Kapitalisten betrogen, sich im Crackhandel versucht. Nun denn: eine von Tränen begleitete Bruderkugel zerschmettert das Bruderbein. Der Rest geht in den Knast und reißt als Ober-la-Onda die Herrschaft an sich und sorgt für viel Mord, Todschlag und Massenmordästhetik.

Doch anstatt den Film, der durchgehend den nicht nur latenten Rassismus des Blutsbrüderwahns spannend und actionbetont und logischerweise tausendmal härter und beängstigender als jeder Horrorfilmstreifen feiert, konsequent mit einem Massaker zu beschließen, endet „Blood in...Blood out“ mit folkloristischem Kitsch: Am Fluß vor der Stadt betrachten die Geläuterten ein überdimensionales Wandbild, daß die drei Brüder jung, stark, schön und stolz wie am Anfang des Films zeigt. Von Rasse und dufter Blutsgemeinschaft ist noch einmal die Rede.

„Blood in...Blood out“ ist ein extrem spannender, zugleich allerdings auch zutiefst unsympathischer Männerfilm. Zwischentöne haben keinen kein Platz. Schicksalhaft, triumphierend hält das Blut, von dem ununterbrochen die Rede ist, die Rasse zusammen; da gibt's nichts zu lachen; da haben Frauen nichts zu suchen, mögen sie auch als Marienbilder überall herumstehen.

Taylor Hackford: „Blood in...Blood out“, USA 1992. Mit: Damian Chapa, Benjamin Bratt, Jesse Borrego u.a. 90 Min.