: Woher nehmen? Stehlen?
„Verlegen heißt Vorlegen“ – eine alte Weisheit, die kleine Verlage zunehmend in die Bredouille bringt. ■ Von Daniel Haufler
Ein paar Verlage werden noch Pleite machen. Nein, nein, nicht im Osten Deutschlands. Da werden die Verlage bald noch froh sein, daß sie von der Treuhand bei finanzstarken Partnern untergebracht wurden und ihre Unabhängigkeit gegen ökonomische Sicherheit getauscht haben.
Das Verlagssterben, das nicht wenige in der Branche befürchten, droht den kleinen und mittleren Verlagen im Westen. Teilweise sind deren Schwierigkeiten hausgemacht, aber vor allem handelt es sich um typische „Mittelstandsprobleme“: chronische Unterkapitalisierung, hohe Kreditzinsen, Kürzung des Zahlungsziels bei Verbindlichkeiten und schleppender Zahlungseingang.
In Hamburg hat es vor einigen Monaten den „Verlag am Galgenberg“ erwischt: Zahlungsunfähigkeit. Noch Ende letzten Jahres wollte Verleger Peter Lohmann mit dem gleichfalls angeschlagenen Verlag „Rasch und Roehring“ eine Bürogemeinschaft bilden, um die Kosten zu senken und die Vertriebskraft zu stärken. Der Rettungsversuch kam zu spät. Helmut Roehring hat nun Glück, daß er für sich und seine Leute auch ohne die „Galgenberger“ kleinere Räume gefunden hat.
Für Roehring liegt das Problem auf der Hand: „Die Kleinen sind zwar oft kreativer als die Großen, aber ihnen fehlt das Kapital.“ Autoren und Übersetzer, Verlagsmitarbeiter und Setzer, Drucker und Binder, sie alle müssen bezahlt werden, bevor „ihre“ Bücher verkauft sind. „Verlegen heißt vorlegen“, besagt nicht umsonst die alte Verlegerweisheit.
Wer nicht über ausreichend Kapital verfügt, muß das nächste Programm mit Fremd- oder (teurem) Kreditkapital „zwischenfinanzieren“. Doch selbst literaturkundige Bankangestellte vertrauen selten auf den Erfolg eines kommenden Bestsellers. Als Sicherheiten müssen da schon Debitorenbestände oder Immobilien herhalten. Uwe Graule vom Eichborn-Verlag resümierte lakonisch: „Wir bekommen auf unser Papier nur solange Kredit, bis wir es bedrucken lassen.“ Fertige Bücher sind allenfalls ein kultureller, aber kein materieller Wert (Bourdieu). Daher hat selbst Eichborn, der mit 28 MitarbeiterInnen fast zu den Großen zählt (und gezählt werden will), einen stillen Gesellschafter namens Rothschild in den Verlag aufgenommen. Und endlich konnte Vito von Eichborn wieder das Skonto seiner Lieferanten ausnutzen und zudem weiter expandieren.
Die Suche nach Mäzenen hat Konjunktur; die Probleme eines solchen Konzeptes werden dabei gern übersehen. Als die Verluste der Frankfurter Verlagsanstalt (FVA) rekordverdächtige Höhen erklommen, begehrte der begeisterte Literaturfreund und Finanzier Henner Löffler Einfluß auf die Unternehmenspolitik. Weil das geschäftsführende Ehepaar Schöffling sich jedoch querstellte, wurde es von Löffler kurzerhand entlassen. Daraufhin drohten die überreizten AutorInnen, den Verlag zu verlassen, und erzwangen so, daß der Geldgeber wiederum beschloß, seine Verluste künftig bei einem anderen Verlag abzuschreiben. Er hat sich, so mutmaßen Experten, in den ihm genehmeren Verlag von Gerd Haffmans in Zürich eingekauft. Aus Kapitalmangel hatte Haffmans zuvor schon mit dem Heyne-Verlag kooperiert, dem er den Vertrieb seiner Taschenbuchreihe überließ. Haffmans seinerseits hat nun die FVA übernommen, doch keiner weiß, wie es dort weitergehen soll.
Haffmans Züricher Nachbar Ammann mußte sich von der Holtzbrinck-Erbin und S.-Fischer- Verlegerin Monika Schoeller aus der Finanzkrise helfen lassen, die als Mehrheitsgesellschafterin in dessen AG einstieg. Jetzt kann Ammann sich wieder relativ sorgenfrei auf die Verlagsarbeit konzentrieren. Auch der Berliner Jungverleger Matthias Gatza konnte sich seinen exklusiven Start mit unbekannten Autoren und schönen Büchern nur leisten, weil ein Mäzen für seine Schulden bürgt.
Aber die Kapitalschwäche belastet nicht nur die kleinen und mittleren Verlage, sondern auch deren wichtigste Geschäftspartner, die Buchhandlungen. Sie erleben seit einigen Jahren zunehmend die Konkurrenz der Buchkaufhäuser: Gondrom und Hugendubel, Herder und Bouvier eröffnen in allen größeren Städten ihre Filialen und bieten dort meist mehr als 100.000 vorrätige Titel an.
Der scharfe Wettbewerb nötigt die Buchhändler, Kosten um fast jeden Preis zu sparen. So werden nun häufig Vertreter gerade der kleineren Verlage schon am Telefon abgewimmelt, und auf der Messe wird von weniger bekannten Schriftstellern höchstens ein Exemplar bestellt. Die Buchhändler wollen ihre Lager nicht „unnötig“ füllen, jedes Buch bindet Kapital. „Cash-flow beschleunigen“, also Bücher so schnell wie möglich verkaufen, und die Zahl der Lieferanten (meint Verlage!) „begrenzen“ – das sind die Lösungen, mit denen die Branchenberatungsfirma Winter vor einiger Zeit hausieren ging. Manche Buchhändler spezialisieren sich auf Fachliteratur oder diversifizieren ihr Sortiment: Warum sollten nicht Videos und CDs den Umsatz steigern? Die Lyrikbände avantgardistischer Talente steuern dazu wenig bei. Mehr und mehr konkurrieren Verlage und Buchhandlungen ums Überleben. „Die oder wir“, postulierte kürzlich ein kleiner Mainzer Buchhändler sein neues Credo.
Die Wachstumszahlen der Branche, die der Börsenverein des Deutschen Buchhandels jedes Jahr stolz präsentiert, verheißen Rosarotes: Verglichen mit dem Eisenwaren- und Hausrathandel (!) oder dem Radio- und Fernseheinzelhandel (!) steht der Sortimentsbuchhandel gut da. Gleiches gilt für die Verlage, die sich in den beiden Jahren nach der Vereinigung ein goldenes Stupsnäschen verdient haben – statistisch gesehen. Doch was für den Computerliteratur-Fachverlag Data Becker zutreffen mag, gilt für Wagenbach eben noch lange nicht.
Natürlich könnte den Verlegern geholfen werden. Österreich und Schweden subventionieren zahlreiche Verlage, um sie als Teil des kulturellen Lebens zu erhalten. Solch ein Modell sähen Martin Bauer (Rotbuch) und KD Wolff (Stroemfeld/Roter Stern) gerne auch in Deutschland verwirklicht. Gerd Haffmans und Vito von Eichborn hingegen präferieren das „Lizenzprozent“ – ein Prozent des Erlöses eines rechtefreien Buches, wie etwa Lessings Nathan, soll in eine Kasse fleißen, aus der dann Titel mit niedriger Auflage finanziert werden. Wieder andere, darunter der Börsenverein, betrachten die Sparmöglichkeiten der Verlage als keineswegs ausgeschöpft. Die Unternehmen sollten verstärkt Büro-, Vertriebs-, Werbe- und Pressegemeinschaften bilden, um so Geld für die Programmarbeit zu sparen. Der Börsenverein fördert zudem Pläne für eine europaweit agierende „Kulturbank“, die auch den spezifischen Problemen von Verlagen – Zwischenfinanzierung, mangelnde Sicherheiten – abhelfen soll. Ob dieses Projekt jedoch in der näheren Zukunft zustande kommt, wußte man in Frankfurt nicht zu sagen – es ist halt eine Europa-Initiative.
Ob die verschiedenen Förderungsprogramme überhaupt auf Deutschland zu übertragen sind, bleibt eine umstrittene Frage. Anders als in Österreich oder Schweden muß in Deutschland nicht die geringe Größe einer Sprach- beziehungsweise Kulturgemeinschaft ausgeglichen werden. Mehr als 60 Millionen potentieller LeserInnen müßten ein Subventionsprogramm für Verlage überflüssig machen – aber: 44 Prozent der BundesbürgerInnen haben 1991 kein Buch mehr gekauft und 46 Prozent keines gelesen. Das Buch hat „den Zenit seiner Rolle als zentraler Kulturträger hinter sich“, glaubt Jochen Jung (Residenz), und daran ändern auch die rührenden Bemühungen der „Stiftung Lesen“ kaum etwas.
Doch es hat keinen Sinn, Kulturpessimismus zu verbreiten: Zuwenig oder das Falsche wurde schon immer gelesen. Der Unterschied zu früheren Lesekrisen ist diesmal nur, daß ein wichtiges Segment unserer Buchkultur zu verschwinden droht – die kleinen und mittleren Verlage. Ihr Beitrag zum literarischen, gesellschaftlichen und politischen Diskurs kann gar nicht überschätzt werden. Daher sollte allen Bedenken zum Trotz über Förderungsprogramme nachgedacht werden, deren Umfang aufgrund des vergleichsweise geringen Branchenumsatzes – schon ein Chemie-Multi übertrifft alle Verlage zusammen lässig – kein Loch in öffentliche Kassen risse.
Nur müssen sich die Verlage auch selbst engagieren. Am Börsenverein-Arbeitskreis der kleinen Verlage beteiligen sich ganze 30 Unternehmen! Falls Vorbehalte gegen die Frankfurter Branchenvertreter bestehen, müssen die Verlage eben eine unabhängige Arbeitsstelle etablieren, aber eines ist gewiß: Ohne Eigeninitiative wird sich keiner für sie interessieren. Krisen gibt es schließlich heutzutage genug.
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