: „Verhinderung feindlich-negativer Handlungen“
Heute will das Dresdner Landgericht das Urteil im Prozeß gegen Hans Modrow wegen Wahlfälschung fällen / Weitere Vorwürfe gegen den Ex-SED-Bezirksfürsten stellen den „Hoffnungsträger“ in ein neues Licht ■ Von Hertha Kleinschmidt
Dresden (taz) – In seinem Buch „Aufbruch und Ende“ schreibt der vorletzte Ministerpräsident der DDR, Hans Modrow, über die „Wende zu einer besseren Zukunft“. Doch seine eigene Zukunft sieht nicht eben rosig aus. Im Prozeß vor dem Dresdner Landgericht wird für den heutigen Donnerstag das Urteil wegen Anstiftung zur Fälschung der Kommunalwahl am 7. Mai 1989 erwartet. Zudem wird gegen Hans Modrow wegen Meineids ermittelt. Darüber hinaus wurde unter Hans Modrow in Dresden offenbar auch die Festnahme und Isolierung von Oppositionellen sowie deren Ermordung im Kriegsrecht geübt.
Er habe von der Wahlfälschungspraxis der DDR nichts gewußt, hatte Hans Modrow vor einem Jahr als Zeuge in dem Wahlfälschungsprozeß gegen den ehemaligen Dresdner Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer ausgesagt. Inzwischen ist jedoch ein Schreiben bekanntgeworden, nach dem Hans Modrow bereits am 20. Oktober 1976 durch den damaligen Dresdner Stasi-Chef Rolf Markert über die „Manipulierung bzw. fehlerhafte Auszählung der abgegebenen Stimmen“ informiert wurde. Die Abweichungen von „offiziellen“ und „inoffiziellen“ Gegenstimmen und ungültigen Stimmen konnte Hans Modrow im Anhang nachlesen. Bei der DDR- Kommunalwahl am 7. Mai 1989 soll laut Anklage Hans Modrow selbst zur Fälschung der Ergebnisse angestiftet haben. Damals wurde der Anteil der Nichtwähler ebenso wie der Neinstimmen von rund zehn auf 2,5 Prozent herabgedrückt, macht zusammen rund 15 Prozent. Die SED wurde so zum strahlenden Wahlsieger.
Hans Modrow, der Hoffnungsträger des DDR-Regimes und heutige PDS-Bundestagsabgeordnete, soll Wahlfälscher gewesen sein. Doch das ist nicht alles. 16 Jahre lang war er als erster Mann im Bezirk Dresden und Vorsitzender der für Kriegsrecht zuständigen Bezirkseinsatzleitung mit verantwortlich für die Verfolgung der dortigen Opposition.
Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Hans Modrow zudem wegen Meineids. Vor dem Untersuchungsausschuß des sächsischen Landtags hatte Hans Modrow vor einem Jahr ausgesagt, die letzte Sitzung der Bezirkseinsatzleitung (BEL) habe im September 1989 stattgefunden – gewiß nicht in den heißen Oktobertagen. Lageberichten (intern Lagefilme genannt) der Polizei und Stasi zufolge tagte die BEL in dieser Zeit jedoch mindestens ein halbes Dutzend Mal. Als die Menschen noch auf die Züge warteten, die die DDR-Flüchtlinge aus der Prager Botschaft der Bundesrepublik Deutschland nach Westdeutschland bringen sollten, war längst beschlossen, Massenverhaftungen durchzuführen: Bereits am 3. Oktober hatte die Bezirkspolizeidirektion (BDVP) nach einem Lagefilm der BDVP 3./9.10. Nr. 30 unter dem Kennwort „Filter“ Variante II für den inneren Spannungsfall geplante Maßnahmen ausgelöst. An den folgenden Tagen wurden daraufhin Oppositionelle und Ausreisewillige an festgelegten Punkten im Bezirk und an der Grenze zur CSSR festgenommen und an zentralen Stellen „zugeführt“.
Nach einem Aktenvermerk der Auswertungs- und Kontrollgruppe vom 5. Oktober bat Hans Modrow persönlich den DDR-Verteidigungsminister Keßler um Hilfe – und bekam prompt zwei Bataillone der 7. Panzerdivision, zwei Bataillone der Offiziershochschule Löbau, 100 Genossen der Militärakademie „Friedrich Engels“ in Dresden sowie insgesamt vier Hundertschaften der Volkspolizeibereitschaft Halle und Cottbus. Eingesetzt wurden diese Einheiten unter anderem am 7. Oktober 1989, dem 40. Geburtstag der DDR, als 20.000 Menschen in Dresden für Meinungs-, Versammlungs- und Reisefreiheit demonstrierten. Weiter wurden unter Hans Modrow sieben Hundertschaften Kampfgruppen mobilisiert – entgegen seiner Aussage vor dem sächsischen Untersuchungsausschuß vor einem Jahr, Kampfgruppen seien um den 7. Oktober nicht im Einsatz gewesen. Nach einem Lagefilm der BDVP 3./9. Nr. 324 gab der SED- Bezirksfürst Hans Modrow zudem am 5. Oktober den Befehl zum Einsatz kasernierter Einheiten.
Menschen wurden geschlagen, obwohl sie keinen Widerstand leisteten. Der Arzt der 8. Volkspolizeibereitschaft – dem „Zentralen Zuführungspunkt“ – mußte allein an die 60 Personen behandeln. Der Bericht der „Unabhängigen Untersuchungskommission“, die noch zu DDR-Zeiten eingesetzt wurde, zählte über 500 Fälle von Gewaltanwendung. An den
Tagen vom 3. bis zum 8. Oktober, vor allem aber am 7. und 8. Oktober, wurden 1.300 Menschen – darunter unbeteiligte Passanten – vorläufig festgenommen. Über 400 davon kamen in die Stasi- Haftanstalt Bautzen. Die Gerichtsverfahren wurden beschleunigt durchgeführt, die Ermittlungen der Kripo bestanden aus einem Vordruck mit drei Fragen, die mit Ja oder Nein zu beantworten waren. Viele Festgenommene wurden beim Verhör bedroht. Darüber, daß Oberbürgermeister Berghofer am 9. Oktober mit den Bürgervertretern der „Gruppe der 20“ Straffreiheit für gewaltfreie Demonstrationen ausgehandelt hatte, wurden die zuständigen Richter erst mindestens zwei Tage später informiert.
Schwere Vorwürfe erhebt die damalige Untersuchungskommission in diesem Zusammenhang gegen die Bezirkseinsatzleitung unter Hans Modrow. Am Abend des 8. Oktober sei man sich in diesem Kreise, dessen Vorsitzender Hans Modrow war, klargewesen, daß die Demonstrationen einen friedlichen Charakter angenommen hatten. Trotzdem sei davon nichts gegenüber den Sicherheitsorganen geäußert, geschweige denn durchgesetzt worden.
Nach den geheimen Kommandosachen 1/67 und 4/67 des MfS, die auf Pläne des Nationalen Verteidigungsrates zur Überführung der DDR in Kriegsrecht zurückgehen, sollten beim inneren Spannungszustand namentlich erfaßte Oppositionelle ohne Straftat vorbeugend festgenommen oder in Lagern isoliert werden.
Vor dem sächsischen Untersuchungsausschuß stritt Hans Modrow jede Kenntnis von geplanter vorbeugender Festnahme und Isolierung ab. Hinweise darauf, daß Hans Modrow entsprechende Pläne mittrug, geben diverse Dokumente, darunter ein von Hans Modrow bestätigter Maßnahmeplan vom 4. Februar 1989 zu den Kundgebungen von Regimegegnern zum 44. Jahrestag der Zerstörung Dresdens. Die Vorschläge beinhalteten die „Durchführung wirksamer personenbezogener Maßnahmen zur vorbeugenden Verhinderung geplanter feindlich- negativer (...) Handlungen und zur unbedingten Verhinderung des Wirksamwerdens der betreffenden Personen vor und während der Veranstaltungen durch zielgerichteten Einsatz aller verfügbaren operativen und volkspolizeilichen Kräfte und Mittel“. Nach einem späteren Bericht der Stasi wurde tatsächlich eine Person vorab festgenommen.
Die Staatsanwaltschaft prüft nun unter anderem im Zusammenhang mit der Planung von Isolierungslagern und den Massenverhaftungen der Oktobertage, ob strafrechtliche Verfahren wegen Verdachts der Freiheitsberaubung eingeleitet werden müssen. „Der Blick“, so Staatsanwalt Ulrich Meinerzhagen, „richtet sich auf einen Personenkreis, in dessen Zuständigkeit die Einrichtung solcher Lager gelegen hat“.
Dieser Personenkreis bestand im wesentlichen aus der Bezirkseinsatzleitung unter Vorsitz von Hans Modrow. Der sächsische Landtagsabgeordnete Michael Arnold (Neues Forum) hatte der Justiz bereits im Dezember letzten Jahres 600 Seiten Aktenmaterial übergeben und Anzeige gegen Hans Modrow wegen Freiheitsberaubung erstattet. Eventuell, so Arnold, habe sich Hans Modrow auch der Anstiftung zur Körperverletzung schuldig gemacht.
Möglicherweise war an den Oktobertagen die „chinesische Lösung“ näher als bisher angenommen. Für den Fall innerer Spannungen gab es konkrete Planungen zur Ermordung von Demonstranten. Die Umsetzungen wurden im Bezirk Dresden bei der geheimen Übung „Ausfuhrverbot“ vom Mai 1978 und einer Überprüfung der Kreise 1975 unter Leitung Hans Modrows geprobt.
Als Aufgabe wurde hierbei seitens der Polizei unter anderem die „Heranführung gegnerischer Gruppen“ an „ausgewählte Objekte und Räume“ genannt, die „für die Durchführung von Festnahme- und Liquidierungsmaßnahmen geeignet sind“. Hans Modrow als Vorsitzender der Bezirkseinsatzleitung bestätigte den ordnungsgemäßen Ablauf der Übung anschließend mit seiner Unterschrift.
Nach Ansicht des Landtagsabgeordneten Arnold muß nun geprüft werden, ob sich Hans Modrow damit der Planung und Vorbereitung von Mord schuldig gemacht hat. Staatsanwalt Meinerzhagen hält es für „nicht fernliegend“, daß mit „liquidieren“ töten gemeint war. Endgültige Klarheit müßten nun aber die derzeitigen Vorermittlungen bringen.
Zur Isolierung oder eventuell gar Liquidierung kam es in den Oktobertagen nicht. Doch noch am 13. Oktober 1989 – fünf Tage vor Honeckers Rücktritt, als bereits Gespräche zwischen Opposition und SED-Führung liefen – wurden nach einer Vertraulichen Verschlußsache (d900-0115/89) in Dresden drei Stadien, darunter das des SC Dynamo Dresden, als Sammellager für Demonstranten geplant. Zugleich wurde erneut der Einsatz von Polizei und NVA vorbereitet.
Noch am 4. November löste Hans Modrow nach einer Geheimen Verschlußsache E1/602 389 der Bezirkseinsatzleitung Dresden „Erhöhte Führungsbereitschaft“ und damit verschärfte Sicherheitsmaßnahmen aus. Neun Tage später, am 13. November 1989, wurde Hans Modrow Ministerpräsident der DDR.
Heute sitzt Hans Modrow im Bundestag. Nach Ansicht von Michael Arnold muß der Immunitätsausschuß Hans Modrow nun auffordern, sein Mandat zurückzugeben.
Doch während die Staatsanwaltschaft gegen den PDS-Ehrenvorsitzenden wegen Meineids ermittelt, verbreitet die PDS von Bonn aus weiter die Legende von Hans Modrows Wahrheitsliebe. Diese geht nach PDS-Darstellung so weit, daß er den Wunsch einer Illustrierten ablehnte, an seinem Amtssitz am Rhein ein Jogging- Foto zu stellen. Denn mangels Zeit joggt Hans Modrow in Bonn nicht.
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