: Hier beutet kein Chef aus ...
... das machen die KollektivistInnen selbst / Der Fahrradladen »Rad & Tat« feiert sein ■ 10jähriges
1
2å Einer der beiden Gründerväter, Hans Laarmann, ist heute der Veteran im Fahrradkollektiv „Rad & Tat“, das heuer sein 10jähriges Bestehen feiert. Hans und sein inzwischen ausgestiegener Mitkollektivist gingen die Gründung eines selbstverwalteten Betriebes damals, 1983, naiv, aber „mit viel Engagement“ an. Selbstverwaltet hieß und heißt, der Betrieb läuft ohne Chef. Die KollektivistInnen träumten von Selbstverwirklichung im Beruf und selbstgestalteter Arbeit — vor allem ohne Frust.
Doch die Ernüchterung kam schnell: Die Organisation erforderte wesentlich mehr zeitlichen Einsatz, als vorauszusehen war. Nicht nur der eigene Anspruch, auch die Kunden verlangten eine optimale Betreuung rund um die Uhr, und diese möglichst billig. 45 Arbeitsstunden pro Woche und ein gleichbleibend geringes Einkommen — Hans nennt dies „Selbstausbeutung“. Und die Arbeit im Kollektiv sei „eher ätzend“ — es fehlten der „Elan und Biß“, den es in Betrieben mit Führungsetagen gibt. In einer Selbstverwaltung müsse erst jedes Problem mit allen Beteiligten durchdiskutiert werden, bis es vielleicht zu einer Entscheidung
1kommt. Das koste viel Zeit und Nerven, so Hans. Trotzdem würde er nie einer Änderung Richtung „Chefbetrieb“ zustimmen.
Allerdings wurden auch bei „Rad & Tat“ im Laufe der Zeit einige Strukturen reformiert. Das Rotationsprinzip — jede(r) muß jederzeit alle Arbeitsabläufe übernehmen können — hat sich in vielen selbstverwalteten Betrieben als Überforderung erwiesen. Bei „Rad & Tat“ gibt es inzwischen Hauptverantwortliche für Einkauf und EDV. Trotzdem müssen sich die anderen über diese Arbeitsbereiche auf dem Laufenden halten, um den „Abteilungsleiter“ in Urlaubs- und Krankheitszeiten vertreten zu können.
Stark verändert hat sich der Kundenkreis für Fahrräder, was Hans nicht nur mit Freude feststellt. Kaum jemand könne heute mehr selbst sein Bike reparieren, die Forderung an Serviceleistungen sei enorm angestiegen. Da gebe es inzwischen Leute, die warten lieber drei Wochen auf einen Termin, anstatt eigenhändig zum Flickzeug zu greifen. Ausgenommen Lehrer, aber die hätten ja auch genügend Zeit neben ihrem Job, wie Hans spöttisch meint.
Das „Rad & Tat“-Kollektiv besteht heute aus vier Leuten. Um ihre Wünsche von einer gerechteren Arbeitsteilung oder der ersehnten 35-Stunden-Woche verwirklichen zu können, müßte das Kollektiv um zwei Personen erweitert werden. Doch dem steht außer dem Mangel an InteressentInnen auch das hohe Einstiegskapital, das der mittlerweile etablierte Betrieb verlangt, im Weg.
Trotz allem sieht das Fazit nach 10 Jahren gut aus: „Es macht immer noch Spaß.“ tom
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen