: Puh - Demokratie ist ja so anstrengend!!!
■ Geduld, Gemurre und Geschwafel im Zeichen der Wahl / Ein Besuch bei der Ortsversammlung der Alstertaler CDU
im Zeichen der Wahl / Ein Besuch bei der Ortsversammlung der Alstertaler CDU
Sie murren leise: „Aufhören!“ Werden ungeduldig: „Kürzerfassen!“Und ärgerlich: „Das wollen wir gar nicht hören.“ Schließlich die dröhnende Befreiung: „Die Bürgerschaft kann froh sein, wenn sie sich dieses Geschwafel nicht mehr anhören muß.“ Applaus. Endlich vorbei – endlich nichts mehr hören müssen von strukturellen Defiziten in der eigenen Partei, von demotivierten Wählern. Davon, daß eine Satzungsänderung vielleicht nicht ausreicht, um verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen.
Richtig! Wir befinden uns in einer Versammlung der Hamburger CDU. Genauer gesagt in der Versammlung des Ortsverbands Alstertal der Christlich Demokratischen Union Deutschlands, 427 Mitglieder, fast 500, wie es im „CDU-Alstertal-Pressetelegramm“ heißt. 100 von ihnen drängeln sich in der gläsernen Aula des Hansa-Kollegs in Wellingsbüttel, um ihre Kandidaten für die Neuwahlen vorzuschlagen und neun Vertreter für die Landesversammlung der Hamburger CDU zu bestimmen, in der die Bürgerschaftskandidaten gewählt werden sollen.
Und dann redet diese Madeleine Göhring, diese im Ortsverband nicht sonderlich beliebte Bürgerschaftsabgeordnete stundenlang
1von undemokratischen Strukturen, vom Umdenken. Das dauert!
Haben sie es nicht schon ohnehin schwer genug an diesem Abend? Mit diesen umständlichen Wahlprozeduren, die da noch auf sie warten? Doch, doch, sie haben. Dafür sorgt schon Ole von Beust, Justitiar der Hamburger CDU. Ihn hat der Landesvorstand ins Alstertal entsandt hat, um darüber zu wachen, daß alles, aber auch alles satzungsgerecht abgewickelt wird. „Wir leben in anfechtungsfreudigen Zeiten“, erklärt der smarte Ole. Und deshalb muß heute geheim abgestimmt werden. „Und wenn sie mich lynchen.“ Von Beust weiß, wovon er redet. Er mußte seine Partei beim Satzungsstreit vor dem Hamburgischen Verfassungsgericht vertreten. Er muß den Alstertaler Mitgliedern jetzt gestehen, „daß wir juristisch im Irrtum waren“, „daß wir deshalb die Konsequenzen gezogen haben“ und „daß es heute länger dauern wird“, als es die Ortsverbandsmitglieder von solchen Versammlungen gewohnt waren.
Übungen in praktischer Demokratie: Also, Sie übertragen jetzt alle Namen der Kandidaten vom roten auf den blauen Zettel. Sie dürfen hinter neun Kandidaten das Ja ankreuzen. Sind es mehr, ist der
1Zettel ungültig. „Und wenn man sich bei den Namen verschreibt?“ Von Beust lächelnd: „Das macht nichts.“
Nun bitte die grünen Abstimmungsblöcke. „Die nutzen Sie wie ....“ „Ich hab' zwei Blöcke.“ Lächeln, ein wenig zerknirscht. Zwei grüne Blöcke werden gegen einen roten ausgetauscht. Das dauert auch. Aber gemurrt wird jetzt nicht mehr. Das muß schließlich sein. „Das ist Demokratie.“
Aber nicht genug. Findet jedenfalls Jürgen Warmke, Bürgerschaftsabgeordneter, Nervensäge (sagen die einen), Querdenker (meinen die anderen) und CDU- Mitglied — ausgerechnet im schönen Alstertal. Warmke hat schon im Vorfeld angekündigt, die Gültigkeit der Versammlung vor dem Parteigericht anzufechten. Weil die Tagesordnung nicht satzungsgerecht sei, dort Aussprache und Berichte nicht vorgesehen seien, Minderheiten keine Chance hätten, auf die Vorschlagsliste für die Bürgerschaft zu gelangen. Warmke, einst selbst Vorsitzender des Ortsverbands, ist zur Versammlung erst gar nicht erschienen. „Das wird doch 'ne Abnickveranstaltung“.
„Wir haben zehn Kandidaten für neun Plätze, also eine richtige Wahl.“ Ulf Lafferenz, in Personal-
1union Versammlungsleiter und Ortsvorsitzender der Alstertaler Christdemokraten, tut sein möglichstes, um Warmkes Prophezeiung zu widerlegen. „Gibt es noch weitere Vorschläge?“ Es gibt. Flugs werden die beiden neuen Namen auf dem Abstimmungszettel notiert. Kurze Kandidaten-Vorstellung. Name, Beruf, Alter, würde mich über Ihre Stimme freuen.... Ab an die Urnen. Stühle rutschen übers Parkett, Menschentrauben an den improvisierten Wahlkabinen. Es dauert. „Puh, ganz schön anstrengend die Demokratie.“
Die Kandidaten Nummer elf und zwölf erhalten die wenigsten Stimmen. Sie dürfen sich beim Nominierungsparteitag der CDU am letzten Juni-Wochenende nicht für den Alstertaler Spitzenkandidaten einsetzen. Der heißt natürlich Ulf Lafferenz, schließlich hatte der Ortsvorstand unter Vorsitz von Ulf Lafferenz, Ulf Lafferenz auf Platz eins der Vorschlagsliste gesetzt. Kein Gegenkandidat, die vorbereitete Kandidatenrede kann ausfallen. Ist ja schon spät genug. Auszählung. 75 mal Ja. Gewählt. Der nächste Urnengang bitte.
Um Platz zwei der Liste bewirbt sich sich Karsten Tietz (brav, vom Ortsvorstand vorgeschlagen, Vorstellungsrede: „Ich habe mich nicht 1
2gegen unsere Partei in der Presse profiliert“ (viel Beifall). Es bewirbt sich außerdem Madeleine Göhring (aufsässig, nicht vom Ortsvorstand vorgeschlagen), Vorstellungsrede: „Ich habe niemanden angerufen und um seine Stimme gebeten“ (wenig Beifall). Noch gespannt auf das Ergebnis? Das „Telefax-Message“ des Ortsverbands Alstertal meldete es gestern allen Redaktionen: „...setzte sich in der einzigen Kampfabstimmung des Abends ... Karsten Tietz ... gegen ... Madeleine Göhring durch.“
Leises Murmeln in den Gängen des Hansa-Kollegs. Was bringt diese Kandidatenaufstellung in den Ortsverbänden eigentlich? Welche Chancen haben denn die Herren Lafferenz und Tietz, bei der landesweiten CDU-Kandidatenaufstellung, einen aussichtsreichen Listenplatz zu ergattern? Bei der nächsten Übung in praktischer Demokratie. Mit der neuer Satzung, mit Einzelabstimmung über jeden Listenplatz, ohne Echternachsches Blockwahlsystem? „Der Landesvorstand“, erklärt ein Alstertaler CDU-Mitglied, „der Landesvorstand hat doch die Liste mit den ersten 40 Namen längst im Panzerschrank.“ 44 Abgeordnete hat die CDU derzeit im Parlament. Mehr dürften es kaum werden. Uli Exner
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