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Vom Kiez-Walzer zum Gerichts-Pogo

■ Zwei, die sich nichts mehr schenken wollen: Das ehemalige Gastronomie-Team Sterzinger / Becker stritt sich im Landgericht

stritt sich im Landgericht

Ließe sich die Zeit um einige Jahrhunderte zurückdrehen, dann wären sich die Kontrahenten sicherlich mit anderen Waffen begegnet. Der eine, Tiroler Geschäfts-

1mann mit Ehrgeiz und unübersehbarer Existenzangst, hätte vermutlich den Morgenstern gewählt. Der andere, gönnerhafter Kiezschickeria-Förderer, wäre wohl mit dem Florett angetreten. Doch da solcherart blutige Spektakel heutzutage nicht mehr an der Tagesordnung sind, trafen sich der Österreicher Yuppie-Gastronom Hubert Sterzinger (Meyer-Lansky, Havanna-Bar) und der Kiez-Immobilien- Sammler Claus Becker (Erotik-Museum) statt dessen gestern morgen in einem nüchternen Saal im Hamburger Ziviljustizgebäude.

Karg war dort zwar das Ambiente, doch der Streit ließ nichts an echten Emotionen vermissen. Fünf Prozesse trägt das ehemalige Kiez-Duo inzwischen gegeneinander aus: Alle ranken sich rund um den Hans-Albers-Platz in St. Pauli, den zum „Weltstadtplatz“ umzugestalten sich die beiden noch 1991 gemeinsam auf die Fahnen geschrieben hatten (taz berichtete).

Doch jetzt sind sie sich spinnefeind. Und wollen auch nicht länger Partner sein. Doch vor der Scheidung stehen Verträge: Gebunden durch fünf Projekte auf dem Hans- Albers-Platz, über die beide in euphorischeren Tagen Kontrakte mit zehnjähriger Mietdauer abgeschlossen haben. Doch jetzt halten die zwei es kaum im gleichen Raum aus. Als Besitzer der Gebäude sollte Claus Becker die instandgesetzten Rohbauten bereitstellen, Sterzinger hingegen die Pläne für die Innenaustattung liefern und als Geschäftsführer der Betreibergesellschaft ABS die Lokalitäten managen. Doch nun wirft jeder dem anderen vor, er habe seine Verpflichtungen nicht erfüllt. Sterzinger: „Die Rohbauten sind immer noch nicht fertig.“ Becker: „Sind sie doch. Und die Verzögerungen haben Sie wegen Ihrer wankelmütigen Planungen verschuldet.“

Die derzeit brachliegenden Streitimmobilien: das frühere Treff am Hans-Albers-Platz 5, das Albers- Eck und die Klause, beide an der Friedrichstraße. Aber selbst über die laufenden Projekte gibt's Knatsch: Für die Disco Network, die Sterzinger im November bezog und gestern eröffnete, blieb er für fünf Monate die Miete schuldig, für sein Büro minderte er den Mietzins „wg. Geruchsbelästigung“.

Ein Berg Ärger, den die vier damit befaßten Richterinnen verzweifelt versuchen, außerhalb eines Gerichtsverfahrens mit einem Vergleich abzutragen. Denn die Beweisaufnahme über die Frage, wer von beiden seinen Vertragspflichten nicht nachgekommen ist, würde nicht nur Jahre, sondern auch erheblich Nerven kosten. Und könnte außerdem, wie eine Richterin mit Seitenblick auf Sterzinger andeutete, sogar mit dem Ruin einer Streitpartei enden.

Doch der Tiroler, mit dem sprichwörtlich aufgeklappten Messer in der Tasche, sich am lässig vorgetragenenen Gleichmut von Becker abstrampelnd, war weder von den schließlich ratlosen Richterinnen noch von seinem Rechtsanwalt zu stoppen. „Becker will immer nur nehmen, nie geben“, wütete er, „der findet doch keine Nachmieter, weil die Angst vor seinen schweinischen Verträge haben.“ Dessen kühle Replik: „Ich könnte Ihnen das Network wegen der ausstehenden Miete sofort fristlos kündigen.“

Die Stimmung erreichte den Höhepunkt und die Vorsitzende Richterin setzte resigniert den nächsten Gerichtstermin für August an. Zeit genug, um bei einem Cocktail nochmal über einen Vergleich nachzudenken. Sannah Koch

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