piwik no script img

Fischen geht Luft aus

■ Starker Regen nach langer Hitzewelle löst Fischsterben aus / Auf dem Landwehrkanal ist ein Sauerstoffschiff im Einsatz

Am Sonntag abend erhielt Antje N. einen Anruf ihres Freundes Eric. Er bat sie, zum Landwehrkanal zu kommen, da, wo der Bierkahn VAN LOOS liegt. Als Antje N. an der Bootskneipe erschien, erwartete sie nicht etwa eine Einladung zum Bier, sondern eine Traube von Menschen, die auf das Wasser starrte. Auf dem Landwehrkanal schwammen Tausende verzweifelt nach Luft schnappender Fische. „Irgendwie war mir zum Heulen“, so Antje N. in einem Brief an die taz, als sie die „kleinen silbern schimmernden Köpfchen aus dem Wasser gereckt“ sah. Unter den Umstehenden wurde von „Sauerstoffmangel“ gemunkelt.

Mit ihrer Vermutung lagen Antje und Eric richtig. Keine stinkende Chemiefabrik, die heimlich giftige Abwässer in den Kanal eingeleitet hatte, trägt die Schuld am Fischsterben, das seit dem Wochenende zu beobachten ist. Verantwortlich für den Erstickungstod von Tausenden von Fischen im Neuköllner Schiffahrtskanal und im Landwehrkanal ist der geringe Sauerstoffgehalt des Wassers. Susanne Jürgensen, Vize-Fischereiamtsleiterin, hat eine „Faustregel“ für das jährlich wiederkehrende Massensterben von Flußbarschen und Plötzen: Immer wenn auf eine lange Trockenzeit starker Regen folge, sei mit Fischsterben zu rechnen. Die Wassertemperaturen seien aufgrund der warmen Witterung der letzten Wochen sowieso schon höher als sonst im Mai. Außerdem, so Jürgensen, „hält sich Sauerstoff in warmen Wasser wesentlich schlechter“.

Noch dazu hat sich nach Angaben des Fischereiamtes die Algenblüte dieses Jahr früher als sonst gebildet. Wenn auf eine Schönwetterperiode schlechtes Wetter folge, falle weniger Licht ins Wasser, und somit werde der Sauerstoffanteil verringert. Erschwerend komme der Straßenschmutz hinzu, so Jürgensen weiter, der bei starkem Regen in die Oberflächengewässer gespült werde. Der Schmutz – organisch belastetes Material wie Blütenstaub – setze sich im Wasser um, und dabei gehe Sauerstoff verloren. Auch wenn die Berliner Fische nach Meinung von Jürgensen generell mit weniger Sauerstoff auskommen müssen als Fische anderswo, geht auch ihnen bei Sauerstoffwerten unter 2 mg/l die Puste aus. Und bei 1 mg/l wird es dann „sehr kritisch“.

Um speziell im Landwehrkanal die Sauerstoffwerte zu stabilisieren, ist voraussichtlich noch bis heute mittag – je nachdem wie sich das Wetter ändert – das Sauerstoffschiff der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz im Einsatz, das pro Stunde 25–30 kg Sauerstoff ins Wasser bläst, um die abgesunkenen Werte wieder zu erhöhen. Bis zum Montag abend wurden bereits 1,5 Tonnen – 4.000–5.000 – tote Fische abgeschöpft und in die Tierkörperbeseitigungsanlage in Ruhleben gebracht. Aktuellere Abschöpfzahlen lagen gestern noch nicht vor. Ein Trost bleibt den überlebenden Fischen: Für nächstes Jahr plant die Senatsverwaltung für Umweltschutz die Anschaffung eines zweiten Sauerstoffschiffes. wahn

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen