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Juristischer Angriff auf die deutsche Geschichte

■ Oberverwaltungsgericht: Klage um 1949 enteigneten Besitz erfolglos / Verordnung traf Kriegsverbrecher und Nazigrößen

Dürfen Grundstücke und Betriebsteile, die nach dem „Gesetz zur Einziehung von Vermögenswerten der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten“ vom 8. Februar 1949 in Ost-Berlin Volkseigentum wurden, wieder reprivatisiert werden? Vor dem Verwaltungsgericht Berlin versuchte gestern zum ersten Mal in der Geschichte des Vermögensgesetzes ein Kläger, Liegenschaften wiederzubekommen, die nach der sogenannten Liste 1 von der sowjetischen Militäradministration (SMAD) enteignet worden waren. Das Gericht unter der Leitung von Johannes Weber entschied, die Klage abzuweisen, aber eine Revision zuzulassen. Sollte die nächste Instanz, das Bundesverwaltungsgericht, zu einer anderen Entscheidung kommen als die Berliner Richter, könnten die 465 nach dieser Liste enteigneten Grundstücksbesitzer Morgenluft wittern. Das Rad der Geschichte würde zurückgedreht werden.

Die Walter Bau AG erhebt Ansprüche auf knapp 50.000 Quadratmeter Land in Pankow und Niederschönhausen, um sie für etwa 8,5 Millionen Mark an einen Investor verkaufen zu können. Die Baugesellschaft ist Rechtsnachfolger der vor dem Krieg in Düsseldorf ansässigen Firma Boswau und Knauer, deren Ostberliner Betriebsteile auf Anordnung der Sowjets am 11. Februar 1949 entschädigungslos enteignet wurden. Im Unterschied zu den demnächst vor dem Bundesverwaltungsgericht zu verhandelnden Streitigkeiten um die Liste 3 – deren Rechtmäßigkeit deshalb angezweifelt wird, weil die Enteignungen erst nach Gründung der DDR im Verordnungsblatt veröffentlicht wurden – galten die Enteignungen nach der Liste 1 bisher als nicht restitutionsfähig. Entschieden wurde dies bei den 2-plus-4-Gesprächen, im Einigungsvertrag 1990 und in einem Bundesverfassungsgericht-Urteil über die sowjetische Bodenreform in der SBZ.

Das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen schmetterte deshalb das Rückgabebegehren der Walter Bau im April 1992 ab, was deren Rechtsvertreter, das renommierte Büro von Professor Finkelnburg, zu einer Klage gegen das Land Berlin bewog.

„Die Enteignung der Firma Boswau und Knauer fällt nicht unter das Vermögensgesetz“, argumentierte Finkelnburgs Sozius Jost Trotta von Solz, denn sie sei schon 1949 „verfassungswidrig“ gewesen. Die Beschlagnahme sei eine „besatzungshoheitliche“ und keine „besatzungsrechtliche“ Maßnahme gewesen, denn letztere habe der Zustimmung aller alliierten Kommandanturen bedurft und nicht nur eines sowjetischen Stadtkommandanten. Weil daher die Enteignung schon 1949 Unrecht war, würde eine Rückgabe auch nicht die Bestimmungen des Einigungsvertrages berühren, meinte Trott von Solz. „Die Russen können nicht daran interessiert sein, besatzungsrechtswidrige Entscheidungsmaßnahmen in Ost-Berlin nachträglich anzuerkennen.“

Darüber hinaus, so das Kernstück seiner Argumentation, habe der damalige sowjetische Stadtkommandant Kotikow nie seine Zustimmung zu der sogenannten Liste 1 gegeben. Das beim Amt zur Regelung der offenen Vermögensfragen vorliegende Schreiben von Kotikow, daß der Liste Gesetzeskraft gäbe, sei kein Original und enthalte auch nicht seine Unterschrift. Mehr noch: Kotikow habe nicht einmal die Liste gekannt. Das Schreiben sei vielmehr eine „Fälschung“, der Entwurf eines Antwortschreibens der Militärkommandantur an den damaligen Oberbürgermeister Ebert. In einem Beweisantrag forderte Trott von Solz deshalb die Bestätigung der Authentizität des angeblichen Kotikow-Schreibens durch die Russische Förderation. Um zu beweisen, daß die westlichen Alliierten bis zum Abschluß des Einigungsvertrages 1990 ihr Veto gegen das Enteignungsgesetz von 1949 aufrechterhalten haben, möchte er die englischen, französischen und amerikanischen Stadtkommandanten in den Zeugenstand rufen lassen. Anita Kugler

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