piwik no script img

Auf gute Nachbarschaft: Prince gegen Roland Kaiser Von Michaela Schießl

Der Traum vom Besenstiel ist der schönste, schöner noch als der vom Messer. Ein Besenstiel, der in nervtötender Regelmäßigkeit (sagen wir im Zwei-Sekunden-Takt) mit Schmackes an die Wohnzimmerdecke hämmert. Immerzu, den ganzen Tag lang — sobald ich die Wohnung verlasse. Mit Pause von 13 bis 15 Uhr (Mittagsruhe). Dann wieder durchgehend bis 22 Uhr Uhr (Nachtruhe). Zusätzlich könnte man über eine Zeitschaltuhr jede Stunde eine Bohrmaschine für zehn Minuten anspringen lassen, Steinbohrer auf Metall etwa. So vielleicht sind sie kleinzukriegen, die Lärmterroristen in der Wohnung über mir. Deren Spezialität: Radiohören und Fernsehgucken so laut, wie die Kisten nur hergeben. Ab neun Uhr morgens fröhnt das reizende Frührentnerehepaar ihrem Hobby, und vor elf Uhr nachts wird keinesfalls aufgegeben. Die Wohnung wird nur zum Schnapsholen verlassen. Und um ein paar Worte mit den entzückenden Freunden von der Kampfhundfraktion zu wechseln, die auf der Straße Mantas putzen, ihre Auto-Stereoanlagen testen, die Jogginganzüge vergleichen und ihre Kinder abhalten, mit der allgegenwärtigen Hundescheiße zu spielen. Mein trautes Heim liegt in einer Gegend, die man bislang nur für ein billiges Klischee gehalten hat. Eine Gegend, wo Taxifahrer zu jeder Tageszeit unaufgefordert warten, bis der Fahrgast heil im Hauseingang verschwunden ist. Doch ist man glücklich angekommen, geht das Unbehagen weiter. Statt voller Feierabendfeeling ins heißersehnte Nest zu schlüpfen, befällt lähmende Vorahnung die gesamte Schulter- und Nackenpartie. Mit Gänsehaut im Ohr öffne ich die Tür und: die Stimmen. Lindenstraße. Der Baß. Die Hammond- Orgel. Das Gezänk. Reality-TV. Verzweifelt sinke ich auf mein wunderbares Sofa inmitten der frischrenovierten Wohnung, starre verzweifelt auf den nietennagelneuen Teppichboden und denke an Besenstiele, mindestens. Und an den Tag, als ich versuchte, mit meinen netten Nachbarn ins Gespräch zu kommen. Schön frisiert, nett gekleidet, und ausnahmsweise superhöflich, dann wird man sich schon phonmäßig einigen können. Achtmal mußte ich läuten, bis die Klingel – wohl in einer kurzen Atempause der Fernsehansagerin – erhört wurde. Vier Minuten später wußte ich endlich, wer ich war. Eine blöde Sau, die sich sofort verpissen soll, sonst kann sie was erleben, eine Schlampe, die wohl aufs Maul braucht, eine Hexe, die schuld ist, daß der Boiler seit einer Woche nicht mehr geht. Prol-Prosa, vorgetragen von einer sprechenden Bierdose im löcherigen Rippunterhemd mit schwarz-rot-goldenen Hosenträgern drüber. „Det können Se uffgeben, mit denen is nicht zu reden“, weiß die Hauswartin. „Benutzen Se halt mehr das hintere Zimmer.“ Was ein leidlich guter Tip war – bis vor drei Wochen. Seither tobt ein Sängerwettstreit im hallenden Hinterhof. Ein Rockfan und ein Volksmusikliebhaber bekämpfen sich per Stereoanlage. Gleich nach Feierabend geht's los: Fenster auf, CD rein, und schon mischt sich Hendrix' „Hey Joe“ mit dem blau, blau, blau blühenden Enzian, Joe Cocker meets Heino, und Prince tritt an gegen Roland Kaiser. In Neukölln herrscht das Recht der stärkeren Boxen. Und ich hab' nur ein Kofferradio.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen