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Hans Modrow hörte die Signale

■ Freisprüche mit Geldbußen im Wahlfälscherprozeß / Richter: „Manchmal liegt die Gerechtigkeit in der Mitte“

Dresden (taz) – Für den gemeinnützigen Verein „Strießen/ Pentacon e.V.“ aus dem Dresdner Osten war gestern ein Feiertag. Aus der Tasche des PDS-Bundestagsabgeordneten und ehemaligen Bezirksparteichefs Hans Modrow bekommt er 10.000 DM zugunsten seines Engagements für Arbeitslose und gefährdete Jugendliche überwiesen. Weitere 10.000 DM aus der gleichen Quelle fließen bald auf das Konto von amnesty international. Die frohe Botschaft drang aus dem Sitzungssaal des Landgerichts Dresden.

Vier Wochen lang war der zweite Dresdner Wahlfälschungsprozeß eher unauffällig vor sich hin gedümpelt. „Hat er nun, oder hat er nicht?“ – die spätestens seit dem Berghofer-Prozeß beantwortete Frage nach dem genauen Rezept eines hochprozentigen Wahlerfolgs fand nach der publikumswirksamen Eröffnung des Prozesses dann doch recht wenig öffentliches Interesse.

Doch der sechzehnte und letzte Verhandlungstag geriet erneut zur Kundgebung. Hunderte SympathisantInnen begrüßten Modrow vor dem Justizgebäude mit Nelken, Sprechchören und Arbeiterliedern. Es war ein bißchen wie früher: „Völker, hört die Signale!“ und ein Spalier zum Tagungsort. Kaum hatten sich die Türen zum Verhandlungssaal geschlossen, da vernahmen die Wartenden die erhofften Signale: „Freispruch!“ hieß es, und Richter Rainer Lips mußte seinen Urteilsspruch für einen Moment verlegen unterbrechen, bis sich der Beifall gelegt hatte.

Die vier angeklagten einstigen SED-Spitzenfunktionäre des Bezirkes Dresden sind der Anstiftung zur Wahlfälschung in mehreren, tateinheitlichen Fällen für schuldig befunden worden. Dennoch gab das Gericht drei Teilfreisprüche bekannt. Lediglich gegenüber dem damaligen Vorsitzenden des Rates des Bezirkes, Günther Witteck, konnte es diesen „goldenen Mittelweg“ nicht gewähren. Doch auch Witteck wurde, wie Modrow und die damaligen Sekretariatsmitglieder der SED-Bezirkskleitung, Stammnitz und Neubert, mit Geldbußen auf Bewährung und mit Zahlungen an gemeinnützige Vereine bestraft.

Richter Rainer Lips als Vorsitzender eines ost-west-gemischten Senats zeigte sich der Brisanz seiner Entscheidung wohl bewußt. Er habe „Schuld festgestellt, aber zunächst keine Strafe verhängt“, kommentierte er. Erst „im Verlaufe des Verfahrens“ sei ihm bewußt geworden, welcher Erwartungshaltung er sich aussetzen müsse. Zum einen sei das die Ahndung von Straftaten. „Orientierungen“, eine parteideutsche Vokabel, die er sich beim Fremdsprachenunterricht dieses Prozesses angeeignet hatte, Richtlinien also lagen mit dem Urteil des Bezirksgerichts Dresden im Berghofer- Prozeß vor und mit der jüngst vom Verfassungsgericht bestätigten Entscheidung des Bundesgerichtshofes. Andererseits wäre der Prozeß durch den Vorwurf belastet gewesen, man wolle Hans Modrow mitsamt der PDS „auf kaltem Weg“ aus dem politischen Leben, zumindest aus dem Bundestag, entfernen.

So sei dieses Verfahren „zweifellos hochpolitisch“ gewesen. Man habe „Geschichte hautnah nacherlebt“, doch der Strafprozeß diene „nicht der Geschichtsaufarbeitung“. Potentieller Kritik, er habe sich mit dem Urteil zwischen die Stühle gesetzt, entgegnete Lips: „Es ist nun einmal so, daß Wahrheit und Gerechtigkeit oft in der Mitte liegen.“ Am Vorwurf der Wahlfälschung würden „keine vernünftigen Zweifel“ bestehen, räumte er ein. Doch die von dieser Seite beantragten Sanktionen seien „weit überhöht“, weil sie „damalige Bedingungen und Machtkonstellationen unzureichend berücksichtigen“.

Beiden Verfahrensseiten hielt Lips aber auch entgegen, daß „weder andere Vorwürfe“ gegenüber Modrow noch „spätere Verdienste“ den Gegenstand der Verhandlung beeinflussen durften.

Staatsanwalt Ulrich Meinerzhagen gab sich zuversichtlich, daß „dieses Urteil einer Überprüfung nicht standhalten wird“. Detlef Krell

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