Muh!

■ „Die Heimkehr des Odysseus“ — Heyme-Premiere im Schauspielhaus / Von Heimat, einer Kuh und ein paar Schauspielern dazu

Ist Heimat, wo man hinkommt oder wo man war? Ist Heimat ein Ort oder eine Erinnerung? Sind Heimat die Frauen und heimatlos nur Männer? Ist Heimat am Ende langmütig wie eine Kuh und macht immer mal wieder muh?

Heimat ist vor allem das, was Odysseus verraten hat. Aber ist Heimat deswegen schon schön und gut? Nein. In Bremen ist Heimat eine Art verfehltes Ankommen, also etwas, was nicht ist. Bis wir allerdings dahin kommen, ist das Theater schon fast vorbei und der Abend lang geworden. Hans-Günther Heymes Inszenierung der „Heimkehr des Odysseus“ zeigt zwar, daß es bei der Mutter aller Reisebeschreibungen auch nur um Heimat geht, allein: nette Götter, hilflose Helden und Margit Carstensen, die vor Sensibilität wie Espenlaub zittert, machen ein bißchen müde, wenn alle an Schicksals' Fäden wie an schweren Tauen hangen.

Sonst: Odysseus, warum nicht?! Hat er nicht Zyklopen zerstochen, Sirenen überhört und den Tod überwunden? Also wird er uns Heutigen, immerhin ebenso abenteuersüchtig und nestflüchtig, schon noch was zu sagen haben. Und wenn's das wäre, das eigene Land, sprich: die eigene Seelenlandschaft, nicht erkennen zu können, wenn man sich bloß veräußert.

Nun ist natürlich die Sprache Homers (in der traditionellen Übertragung Wolfgang Schadewaldts) eine hehre: da knarzt es von Erzen, Birne altert auf Birne und Elende werden vom Zangengriff unabänderlicher Sätze geschüttelt. Da ist die Gefahr gegeben, gebeugt zu stehen vor der Schwere, Höhe und Tiefe der Bedeutung wohlgestochener Wörter.

Aber da sind ja auch die beiden niedlichen Götter Athene (Peter Kaghanovitch als göttlicher Transvestit) und Zeus (Wolfgang Robert als göttliches Schlitzohr), die werden reizend von oben heruntergelassen. Und da sind die Spots an den Seiten, blö und orange, die blinkern von Zeit zu Zeit wie wild, wenn's um Kampf und Action geht. Und

Die Kuh, immobil, und Penelope, bewegt dagegen (Margit Carstensen)Foto: Jörg Landsberg

dazu spielt vom Band der Triumphzug der Catcher und Odysseus wirft ein wenig die Beine.

Fehlt nur noch ein kontraproduktives, immobiles Element,

das die ewige Wiederkehr des Immergleichen aussageintensiv verkörpert, etwas quasi weiträumig Wiederkäuendes: so kam Heyme auf die Kuh, das Rind. Das lenkt nicht zu sehr ab, ist aber doch enorm vorhanden und auch hübsch archaisch. Und darum wurden wir zu interessierten ZeugInnen herabfallender Kuhfladen und ähnlichem Mist: jedesmal eine willkommene Abwechslung in der Sandkasten

manege auf der Bühne.

Im Hintergrund wackelten sonst nur noch die aufgereihten Freier-Statisten, und vorne trug man hauptsächlich schwer an Text. Da wurde jedes Ohrenschlackern der armen Kuh ergötzlich; und sagt nicht auch Homer, man soll sich an dem ergötzen, was da ist?

Wenn man das Ungerührtsein der Kuh genügend satt hat, kann man sich auch wieder den Schauspielern widmen, ein Glück für Heyme. Allein Hans Schulze als alter Odysseus (den jungen spielt Dirk Plönissen keck gewaltsam) ist das Sehen wert. Er zeigt uns Odysseus als würdevoll Gescheiterten, und nichts nützen ihm am Ende all seine Gescheitheit und seine tollen Täuschmanöver von Circe bis Zyklop. An wahrer, weil innerer Erkenntnis vorbeigesegelt, ist er nur noch ein Händeringender. Und obwohl im Smoking: eine Art kippender Tänzer auf dem Abenteuerparkett, der nicht zur Ruhe kommt.

Margit Carstensen ringt zwar ebenfalls die Hände und ist als Penelope ja auch doppelt tragisch wegen erlebnisloser Warterei; aber die Exaltationen der fragilen Diva wirken neben der stabilen Kuh doch unfreiwillig komisch.

Wenn sich der Abend endlich neigt, tut die Kuh einem leid und das Bildungsbürgertum auch. Schließlich muß es doch immer aufpassen auf die „schönen Textstellen“. Warmer Regenapplaus für die Schauspieler. Auch Heyme wirkt beim Verbeugen entspannt. Vielleicht sogar froh, einmal wieder nur rein künstlerisch bewertet zu werden. Claudia Kohlhase