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Eine mentale Geschichte

Über Pfingsten tobt das Tohuwabohu-Festival im Tempodrom  ■ Von Harald Fricke

Manchmal kann Marginalisierung auch ganz einfach bedeuten, den größten gemeinsamen Nenner zu wählen: Wenn in Boston, Brisbane, Birmingham oder Berlin ein Jugendlicher westeuropäischer Abstammung auf seine Gitarre eindrischt, kommt dabei Punkrock, Jazz, Pop oder Heavy Metal heraus; die Musik aus den anderen Vierteln des Erdballs nennt man dagegen recht einheitlich Weltmusik und heftet sie unter Multikultur ab.

Dort können dann Regenwaldindianer mit diversen Derwischen aus der Wüste solange um die Wette trommeln, bis ein kultureller Multi aus dem Westen die wirren Stammesdinge für den Dancefloor ordnet. So ist es mit der Multikultur wie beim Müsli: Vor zehn Jahren mußte die ernährungsmäßige Avantgarde in Sachen Vollwertkost beim Einkauf zum Back- Kollektiv in den Keller kriechen. Heute geht der Gesundmensch bei Kaisers ans Regal und kann sich im ausgefuchsten Ökowaren-Sortiment zwischen kernigen Maislöckchen und Haselnuschips auf getrockneten Mangokrümeln gar nicht mehr entscheiden. Fazit: Alles hat ein Ende nur die Wurst hat zwei. Weltmusikalisch gesprochen spielt sich das gleiche Schicksal ab. Je größer die Breitenwirkung des Ethno-Booms, um so unverbindlicher das Interesse an der Kultur hinter dem Image.

Kaum hat die Industrie den Braten im Ofen der dritten Welt gerochen, lambadet oder salst es aus deutschen Eckkneipen und Stranddiscotheken mit rituellen Trommelschlägen. Der fröhliche Kulturimport verändert jedoch die inneren Verhältnisse kaum, da wird weiterhin zwischen Lichterkette und Grundgesetzänderung ausgewogen, wieviel Farbe dieses Land vertragen kann. Wie kommt man diesem Chameleon bei?

Das dreitägige Pfingst-Festival im Tempodrom versteht sich als eine Möglichkeit, um wenigstens den Hauch einer Unübersichtlichkeit auf dem fremden Kulturterrain wiederzugeben. Afrikanische Beats, urbaner HipHop und die orientalische Tanzmusik, da crossovert sich ein ziemliches Sammelsurium zusammen: „Es gibt eben heutzutage jede Menge verschiedener Stammeskulturen, die sonst von einander getrennt sind. Wir wollen Fenster in die Mauern reinhauen“, formuliert Borkowsky Akbar, der um keine noch so blumenstreuende Metapher verlegene Hauptorganisator der „Heimatklänge“, die Zielsetzung zur Veranstaltung. Doch einer Selbstbeweihräucherung des alternativen Szenemachers ist vorgebeugt. Die treibenden Kräfte hinter dem Konzertreigen am Tempodrom stammen aus den Erstländern der jeweiligen Themenabende. Für „Afrika in Berlin“ hat der in Berlin lebende Senegalese, Griot-Sänger und Trommelfieberer Abdourahmane Diop am Programm gebastelt, Borkowsky mußte sich um die jungen HipHop-Talente kümmern und die Raks-Sharki-(vulgärdeutsch: Bauchtanz)-Interpretin Jalilah aka Lorraine Zamora besorgte die Gestaltung des orientalischen Abends.

Ein Novum im deutschen Popgeschäft: Statt einer stellvertretenden Vereinnahmung durch angeschlossene Drittverwerter bleibt der Aktionsradius den MusikerInnen selbst überlassen. Die Folge: Wo sonst westliberale Veranstalter väterlich über den multikulturellen Eintopf wachen, sorgen die Bands selbstorganisiert für ein internationales Programm. Allein aufgrund der Fluktuation und Konkurrenz unter den orientalischen Gruppen hat sich in Frankreich überhaupt eine starke Rai- Pop-Szene herausbilden können. Beim Bauchtanz ist es ähnlich: Leila Haddad ist in Paris ein Star innerhalb der franko-arabischen Gemeinde, der Ägypter Ali Hassan Kuban arbeitet mit dem Amerikaner MePhiMe an Nubian- Roots-Rap, und die Master Musicians of the Nile sind beim Real- World-Label unter Vertrag. Alles ganz normale Musik-Profis, quer über die Welt verstreut.

Für die westafrikanischen Beat- Musiker ist es dagegen vielfach schwerer, in internationale Konkurrenz zu treten, was laut Borkowsky auch eine mentale Geschichte sein könnte: „Sie kommen in die Stadt und klammern sich früh an ihren Leuten fest.“ Nur ab und zu gelingt es einer Gruppe wie Kilimandjaro de la Firenze, als unabhängiges Orchester zu bestehen. Aber auch der aus Gambia stammende Abdul Corr bewegt sich mit Saraba, einer Band, die elektronische Grooves und panafrikanische Klänge mischt, weit außerhalb einer Ethno-Nische zwischen Amsterdam und Berlin. Der HipHop- Abend bildet insofern eine direkte Verlängerung des gewandelten Traditionsverständnisses, ganz simpel gemäß den veränderten technischen Bedingungen. Die 4 Reeves aus Köln sind nahezu klassisches Entertainment mit sehr smoother HipHop-Attitüde, während die Islamic Force schon mehr den Dissidenten-Standpunkt einnehmen: „I'm living in Berlin 36, Kreuzberg.“ In jedem Fall galt es Borkowsky, HipHop als Partner reinzuholen, „damit unsere Nische nicht zu niedlich wird.“ Wo sich die 68er-Generation ihre Utopien und Sehnsüchte vom globalen Dorf als Idylle herübergerettet zu haben scheint, sprechen die Kinder vom Ghetto.

Heute spielen Abdourahmane Diop & Griot Music Company, Saraba, Kilimandjaro de la Firenze und Roots Amamomo;

am 30. 4 Reeves, Reality Brothers, Makoma Kids, Islamic Force und Voices of Neucoelln;

am 31. Leila Haddad, Jalilah, Zarefah, Ali Hassan Kuban & The Nubian Band, Master Musicians of the Nile und Salamt.

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