Ein Borussenfan sieht rot

Burkhard Fritsche karikiert den Sport und verfehlt freudig den guten Geschmack  ■ Von Holger Jenrich

Als leidenschaftlicher Anhänger der Mönchengladbacher Borussia ist der Mann Kummer gewöhnt. Seit Jahren schon hecheln die einst heldenhaften Himmelsstürmer vom Niederrhein dem Ruhm vergangener Tage hinterher, darüber täuscht auch der momentane Höhenflug nur leidlich hinweg. Und mit jedem mißratenen Match, mit jedem verlorenen Pokalfinale gegen hausbackene Zweitligisten wird die Wut des Burkhard Fritsche schäumender. Der Karikaturist – in der Eulenspiegelstadt Mölln geboren, in der Fußballstadt Mönchengladbach aufgewachsen und heute in der Bischofsstadt Münster zu Hause – wird, wenn die „Fohlen“ nicht bald zu alter Glorie zurückfinden, dereinst wohl als brutalster Cartoonist der Bundesrepublik in die Kunstgeschichte eingehen.

Und als derjenige Zeichner, der dem brachliegenden Genre der Sportkarikatur zu neuer Blüte verhalf. Die Mittel, mit denen Fritsche arbeitet, sind indes ein Fall für die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften. Nach Durchsicht seines sportiven ×uvres, das nur so strotzt vor Gemeinheiten und Anzüglichkeiten, drängt es den sittenstrengen Betrachter mit Macht, die Dame vom Amt um die Nummer der obersten Zensurbehörde zu bitten.

Beispiele gefällig? Ein offensichtlich in Gladbacher Leibchen steckender Kicker nimmt an einem Inter-Mailand-Balltreter in Rambo-Manier Rache für vergangene Büchsenwürfe und wird, weil er sich bei der lebenden Leiche nach getaner Malträtierarbeit höflich entschuldigt, vom seelsorgerischen Referee mit farbigen Karten verschont. Beim Staffellauf vergreift sich ein südeuropäischer Flitzer in der Etage und hat statt eines Stöckchens aus Holz eines aus Fleisch und Blut in der Hand, was korpulente Kugelstoßerinnen im Stadionrund entrüstet und auch ein wenig neidvoll mit „Typisch Italiener!“ kommentieren. Und wenn sich Würger Willie und Otto Wanst als Sportler für den Frieden für eine bessere Welt ohne Atomraketen wämsen, nimmt sogar der Ringrichter Reißaus.

„Meine Zeichnungen sind Abziehbilder des Lebens“, meint Burkhard Fritsche, hinter dessen bieder-braver Koteletten-Fassade man derartige psychische Abgründe nie und nimmer vermuten würde, „da läuft auch nichts ohne Sex und ohne Tote“. Also wird auch in seinen Sportzeichnungen gemeuchelt und gezotet auf Honka und Teresa Orlowsky komm raus – und dem Publikum gefällt's. Burkhard Fritsches armselige Typen mit den obligatorischen Zucchini- Nasen und den spindeldürren Ärmchen haben nach lange zurückligenden Gehversuchen in der Alternativpresse mittlerweile Einzug gehalten in die seriösere Abteilung der bundesdeutschen Journaille. Die Zeit und Geo, Titanic und Kowalski, die gewerkschaftliche Jugendzeitschrift ran und die AOK-Mitgliederpostille: sie und viele andere greifen mehr oder minder regelmäßig auf Zeichnungen Fritsches zurück.

Stadionzeitschriften wie das Gladbacher Fohlen-Echo oder die großen Sportmagazine der Republik zählen nicht zu Fritsches Kundenstamm. Was ihn wurmt, aber nicht weiter wundert: „Die leben halt von Glanzbildern, von Idolisierungen und nicht von Jokes.“ Ein Boris Becker, der mehr Ähnlichkeit mit einem Karpfen als mit einem Tennishelden hat, oder eine Steffi Graf, deren Teddybär mit erigiertem Glied auf die Rückkehr seines Schätzchens wartet, haben da nichts zu suchen. Überhaupt liege die Sportkarikatur an sich in unserem Lande brach. Burkhard Fritsche: „Generell sind Karikaturen ja meist für politisch interessierte Leute gemacht. Und die sind noch immer mehr oder weniger unsportlich.“

Burkhard Fritsche natürlich ausgenommen. Der gelernte Meßdiener und ausgebildete Kunstpädagoge kann auf eine stolze sportliche Laufbahn zurückblicken. Als C-Jugendlicher rannte er dem Leder ein Vierteljahr im Polizeisportverein Mönchengladbach hinterher, ob mangelnden Erfolgs wechselte er danach zum Post- Sportverein derselben Stadt. Im Alter versuchte er sich als Freizeitkicker beim „FC Rote Socke“, dem Team der münsterschen Alternativzeitschrift Stadtblatt, um letztlich als Kämpe in der Thekenliga beim FC Zölibad zu enden: „Das war der Verein vom Schwimmbad Mitte. Der hatte diesen ulkigen Namen, weil man vom Priesterseminar immer bei uns reingucken konnte.“

Aber sozialisiert worden ist „Burkh“, der sich heute als „Sofa- Sportler“ mit gelegentlichem Gang zum „Rentner-Tennis“ bezeichnet, auf dem Bökelberg in seiner Heimatstadt. Im zarten Alter von fünf Jahren, die Borussia dümpelte damals noch in der inzwischen verschiedenen Oberliga West, habe er zum ersten Male den Darbietungen seiner Helden zugesehen. Seither habe er kein großes Spiel mehr versäumt: nicht die Eröffnung des renovierten Stadions gegen den FC Santos („Ich war trotz Fieber da und hab' mir im Parkhotel Autogramme von Didi, Vava und Garrincha geholt“), nicht die Aufstiegsspiele zur ersten Liga, nicht die großen Spiele der großen Borussen-Elf Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger. Bezahlt hat er für die filigrane Fußball-Feinkost seiner Fohlen-Elf keinen Pfennig: „Mein großer Bruder war Ordner, da kam ich umsonst rein.“

Zeichnet der Vierzigjährige heutzutage einen halbwegs liebreizenden Kicker, wird man auf dem Bild häufig einen Hinweis auf seine Borussia finden. Strichelt er einen balltretenden Fiesling, steckt der mit Vorliebe im Bayern-Dress. Bestes Beispiel ist „Der Benimm- Schiedsrichter“, wo mauernde Borussen ihr Geschlecht klerikal- keusch vor der brutalen Gewalt eines bevorstehenden Bayern-Freistoßes zu schützen suchen, sie aber von einem Knigge in Schwarz sehr zur Freude des schadenfrohen Bajuwaren mit den Worten „Hände weg vom Sack“ zur Ordnung gerufen werden. Nur in der Diskussion, ob man der besseren Trefferquote wegen das Tor vergrößern oder den Torwart verkleinern solle, hat er seine heimischen Borussen außen vor gelassen – und die Namensvetter aus Dortmund bemüht, weil sich deren schwarz- gelbe Bananen im Hintergrund besser machten als Gladbachs grün-weißer Schlagwerker Manolo.

Ein solch feiner Witz wie der mit dem Miniatur-Keeper ist für Burkhard Fritsche, der eigenen Worten zufolge „immer nur in Verlierermannschaften gespielt“ und – worauf er besonders stolz ist – in jungen Jahren mal den späteren Gladbach-Profi Rainer Malzkorn zum direkten Gegner gehabt hat, eigentlich fremd. In der Regel überwiegt bei ihm der derbe Strich, mit dem er jedwede Figur als abnorm- ekelerregendes Exemplar der Spezies Mensch präsentiert. Den armen Franz Beckenbauer outet er bei einem Fläschchen „Rotkäppchen-Sekt“ anläßlich des legendären WM-0:1 gegen die DDR 1974 als IM „Kaiser“. Reitersmänner vom Schlage Rainer Klimkes sind in seiner kruden Welt perverse Pimmel-Schnippler, Radfahrer nichts als analfixierte Arschlöcher.

Nur selten gibt sich der Künstler moderat. In der Regel gehen seine Arbeiten (aktuelles Album: „Dein ist mein ganzes Herz“, Semmel- Verlach, 19,80 DM) weit über die Grenzen des guten Geschmacks hinaus, sind heimtückisch, unfair, hinterhältig und gehören eigentlich verboten. Zu hoffen bleibt deshalb, daß sich die Gladbacher Borussen bald wieder bekrabbeln, daß sie zu altem Schwung, alter Begeisterung, alter Spielfreude zurückfinden und damit Burkhard Fritsche aus dem fatalen Sog gemeingefährlicher Zerstörungswut herauszerren. Denn erinnern wir uns: als Netzer und Vogts, Heynckes und Simonsen Meisterschaften und Pokale gleich im halben Dutzend an den Bökelberg holten, da zeichnete ein gutgelaunter „Burkh“ statt Häßlich- und Widerwärtigkeiten noch charmant- witzige Männchen mit nichts als langen Nasen.