: Lästige Störungen beim Goldfischschlucken
■ Christoph Vitali will die legendäre Sammlung Barnes ausstellen – nur die Leihgeber wissen von nichts
Daß Albert C. Barnes seine eigenen Vorstellungen von der Vermittlung von Kunst hatte, bekamen vor allem seine zahlreichen Feinde zu spüren. Wer Anfang dieses Jahrhunderts ins Allerheiligste der amerikanischen Kunstwelt vordringen wollte, brauchte gute Ideen oder gute Beziehungen. Nur ausgewählten Gästen und Studenten der von ihm gegründeten Stiftung gestattete der Pharmamillionär und Kunstsammler den Zutritt zu seiner Privatvilla in Merion Station am Stadtrand von Philadelphia.
Dort hatte der Misanthrop seit 1912 unter anderem 180 Werke von Renoir, 69 von Cézanne, 60mal Matisse, 44 Bilder von Picasso, 14 von Modigliani und sieben von van Gogh versammelt. Vor allem Kunstkritiker und Journalisten mußten draußen bleiben, nachdem konservative Vertreter der Zunft die Barnes-Sammlung bei deren erster und letzter öffentlicher Präsentation 1923 hemmungslos verrissen hatten. Als Walter P. Chrysler trotzdem schriftlich um eine Besichtigung bat, erfuhr er von einem fiktiven Barnes-Sekretär: „Es ist mir leider unmöglich, Ihr Schreiben zum jetzigen Zeitpunkt Dr. Barnes zu zeigen, weil er strikte Anordnungen gab, ihn bei seinen augenblicklichen Bemühungen, den Rekord im Goldfischschlucken zu brechen, nicht zu stören.“
Als Barnes 1951 bei einem Autounfall ums Leben kam, hinterließ er der Nachwelt neben seiner inzwischen milliardenschweren Sammlung auch sein Testament; das besagte vor allem, daß kein einziges Barnes-Bild jemals von der Wand genommen oder auch nur in Farbe abgebildet werden dürfe – bis ans Ende aller Zeiten.
Trotzdem macht eine Auswahl von 80 Meisterwerken aus der Barnes-Foundation zur Zeit in der National Gallery in Washington Furore. Möglich gemacht wurde die Ausstellung durch einen Gerichtsbeschluß, der Barnes' Testament zeitweilig außer Kraft setzt. Die Stiftung braucht für dringend notwendige Renovierungen sieben Millionen Dollar, die mit einer Bildertournee in Washington, nach Paris, Tokio und Philadelphia eingespielt werden sollen.
Das Konzept scheint aufzugehen: Täglich stehen die Kunstfreunde in Washington Schlange, um die so lange verborgenen Schätze des Dr. Barnes endlich sehen zu können. Auch der farbige Katalog findet reißenden Absatz – alle Beteiligten reiben sich glücklich die Hände.
Gern würde das auch Christoph Vitali tun. Ein wenig vom Glanz des Kunstspektakels möchte der scheidende Direktor der Frankfurter Schirn für sich abzweigen. Die Gelegenheit dafür war günstig, schließlich stand gerade sein Wechsel ans Haus der Kunst in München bevor.
So verkündete Vitali bei einer Pressekonferenz vor einigen Wochen, was Frankfurter Allgemeine, Süddeutsche Zeitung und Focus dann ungeprüft verbreiteten: Von April bis Juli 1994 werde die Barnes-Sammlung auch in München zu sehen sein. Sensation, Sensation! Die Sache hat nur einen Haken: In Merion selbst ist von einer zusätzlichen Ausstellungsstation namens München nichts bekannt. Gegenüber der taz bestätigte Barnes-Pressesprecherin Laura A. Linton: „Bislang gibt es keine Pläne für eine Ausstellung in München. Jede weitere Station würde ohnehin eine gerichtliche Genehmigung voraussetzen.“ Noch allerdings sehe die Barnes-Foundation dafür gar keine Notwendigkeit. Die aus Washington, Paris, Tokio und Philadelphia erwarteten sieben Millionen Dollar reichen für die Renovierung allemal aus. Vitali gibt inzwischen zu, sich mit seiner Ankündigung zu weit aus dem Fenster gelehnt zu haben. „Wir haben noch keinen Vertrag unterschrieben, es gibt offensichtlich noch einige Schwierigkeiten in Merion. Ich werde aber am 6. Juni wieder in die USA fliegen und bin zuversichtlich, daß dann alles klar sein wird.“ Vitales Interesse an Vitalis Überredungskunst hat inzwischen auch der Münchner Verlag Droemer/Knaur. In Erwartung der Barnes-Ausstellung für München hat der Popular-Verlag bereits die deutschsprachigen Katalogrechte gekauft – für einen sechsstelligen Dollar-Betrag, wie es heißt. Stefan Koldehoff
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