■ Mit Musterländles auf du und du
: Flaute in Ungarn

Budapest (taz) – Ungarn hat unter den osteuropäischen Ländern seine Position als ökonomisches Erfolgs- und Musterland verloren. In ungarischen und internationalen Finanzkreisen gilt das längst nicht mehr als Geheimnis. Nachdem die ungarische Regierung bisher an optimistischen Prognosen für die weitere wirtschaftliche Entwicklung und Umgestaltung festgehalten hatte, korrigierte das Finanzministerium nun die Erwartungen stark nach unten.

Bermerkenswert ist daran, daß ein diesbezüglicher Bericht, den das Finanzministerium am Donnerstag vorstellte, in offensichtlichem Widerspruch zu dem steht, was dessen eigener Finanzminister Iván Szabó am vergangenen Wochenende auf der Wirtschaftskonferenz der Regierungspartei Ungarisches Demokratisches Forum (MDF) verkündete. Er hatte für dieses Jahr ein geringfügiges Wachstum versprochen.

Die Analytiker seines Ministeriums hingegen prognostizieren auf der Grundlage der Wirtschaftsergebnisse des ersten Quartals 1993 ein Nullwachstum oder gar Rückgang des Sozialproduktes um zwei bis drei Prozent. Die Inflation wird 20 bis 22 Prozent entgegen der früher erwarteten 16 bis 18 Prozent erreichen, und die Zahlungsbilanz mit einem Passivum statt eines Aktivums abschließen. Nur im günstigsten Falle, so der Bericht, könnten die Vorjahresergebnisse erreicht werden.

Verantwortlich für die schlappe Entwicklung ist in erster Linie die Exportflaute, die Mitte letzten Jahres in Ungarn einsetzte. Daran ist nicht nur die westeuropäische Rezession schuld. Ungarn konnte bisher auch keine wesentlichen Anteile am zusammengebrochenen Ostmarkt zurückgewinnen. Gleichzeitig beläßt die Nationalbank den Forint stark überbewertet, was die Exporte relativ verteuert. Hinzu kommt die rückläufige Inlandnachfrage.

Die Ministeriumsbeamten wollten mit ihrem Bericht zwar wohl nicht den Aufstand gegen ihren Chef proben. Er dürfte aber immerhin als warnendes Zeichen zu verstehen sein, in Zukunft nicht nur mit schönen Worten, sondern auch mit Statistiken zu operieren. Offenbar haben die Beamten auch nicht vergessen, daß Szabo in der Welt der Finanzexperten nur ein Laie ist. Szabos Vorgänger, der professionelle, aber aufmüpfige Finanzprofi Mihály Kupa, war im Februar von Regierungschef József Antall geschaßt worden. Keno Verseck