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Kunst am Partialobjekt

Immer wieder vergessen: Eva Hesse, die 1970 in New York starb. Eine Retrospektive im Pariser Jeu de Paume macht ihre hautdünne Kunst zugänglich  ■ Von Harald Fricke

Seit die große Impressionistensammlung in das dafür rundum erneuerte Musée d'Orsay am linken Seine-Ufer umgesiedelt worden ist, verirren sich nur noch wenige, kleine Touristengrüppchen in den funktionalen Bau am Rande der Tuilerien. Durch großflächige Jalousien vom Tageslicht abgeschirmt, wirken die nun weitläufig leeren Ausstellungsräume erdrückend, als hätte das einstmals modernistische Museum sich selbst überlebt; schnell will man es unter die vielen Mausoleen einreihen, die Paris als Sehenswürdigkeiten zweiten Ranges zu bieten hat. Der Eindruck des Marginalen paßt zu dem Stellenwert, den Eva Hesse selbst als immer wieder fast vergessene Künstlerin innerhalb der jüngeren Geschichte einnimmt. Für die Retrospektive eines ihrer männlichen Zeitgenossen hätten die Verantwortlichen bedenkenlos ein paar Räume im Centre Pompidou freigemacht.

Narrativer Charakter

Überhaupt ist es erstaunlich, daß erst jetzt, 23 Jahre nach dem frühen Tod Eva Hesses, zum ersten Mal eine Übersicht ihrer Arbeit in Europa präsentiert wird – nachdem man ihr im Mai vergangenen Jahres in Yale eine wesentlich umfangreichere Einzelausstellung mit bald doppelt so vielen Exponaten gewidmet hatte. In Deutschland waren ihre Arbeiten zuletzt 1979 in Hannover zu sehen, davor 1965 in Düsseldorf – zwei Ausstellungen in knapp 30 Jahren. Doch im Gegensatz zur europäischen Kunst nimmt Hesse in den USA mittlerweile eine Schlüsselposition ein. Dort gilt sie als Vorreiterin feministischer Künstlerinnen wie Ida Applebroog oder Jenny Holzer und als Bindeglied zwischen Minimal art und Prozeß-Kunst (an der 1969er Ausstellung „Anti-Illusion: Procedures/Materials“ im New Yorker Whitney Museum nahmen neben Eva Hesse u.a. auch Bruce Nauman und Richard Tuttle teil, damals noch eher unbekannt). Zusammenhänge, die bei der Hesse- Präsentation zur Berliner Ausstellung „Amerikanische Kunst im 20. Jahrhundert“ kaum zur Sprache gekommen sind.

1936 in Hamburg geboren, mit ihren Eltern 1939 nach Amerika gegangen, blieb ihr Verhältnis zur neuen Welt gebrochen, ein Kampf mit sich selbst, um Bilder, Gesundheit und die Erfahrung eigener Stärke, wie Hesse als junge Erwachsene notierte. Nach ihrer Scheidung beging die Mutter 1946 Selbstmord. Die Neigung, diese und andere sehr persönliche Geschichten in der Hinwendung an den abstrakten Expressionismus zu verzahnen und aufzuarbeiten, sorgte vor allem unter dem Einfluß der Minimal art zu einer ausgeweiteten Erfahrung und Selbstwahrnehmung, sichtbar in Rauminstallationen und konzeptuellen Arrangements. So hatte Hesse zwar bei Josef Albers traditionelle Farblehre studiert, aber schon zur gleichen Zeit in ihren Arbeiten den Kontakt zu Willem de Kooning und Jackson Pollock gesucht, ebenso wie nur wenig später zu Claes Oldenburg, Carl André oder Sol LeWitt. Aber neben all diesen streng am Material orientierten Künstlern beharrte Hesse auf dem narrativen Charakter ihrer Arbeiten und beschränkte sich schließlich auf die Konstruktion von situativen Installationen wie bei „Untitled“, einem Ensemble aus Seilen und Drähten. Sie selbst sollte die fertige Arbeit nicht mehr zu Gesicht bekommen, statt dessen hat Sol LeWitt die Installation 1972 nach ihren Skizzen für die Documenta V ausgeführt.

Schlauchartige Organe

Bestimmte Spuren lassen sich durch das gesamte Werk verfolgen: Die frühe Malerei ist geprägt von streng formal gegliederten Flächen im Zusammenspiel mit vorsichtig bruitistischen Schriftbildern, die sich vage aus der psychischen écriture nach dem Vorbild eines Cy Twombly nähren.

Ein sehr stark von der Psychoanalyse geprägtes Selbstportrait, „Untitled“ von 1960, macht entsprechend den Anfang der Retrospektive in Paris. In den Plastiken spiegelt sich das Interesse an der Kombination von Struktur, Ordnung und Ausdruck wider – alles im Rahmen einer klassischen formalen Operation, die um die Erkundung der Beziehungen zwischen Kreis und Quadrat bemüht ist. Noch sind die Wände dünn, die sie vom gestrengen Maler Ad Reinhardt trennen. In einem ihrer Notizbücher schreibt sie: „Ich male gegen die Regeln.“ Wie alle Akademiker.

Erst 1964 vollzieht sie jenen Bruch mit der formalen Abstraktion, die Expressivität der Ölbilder verschwindet und wird durch eine Vielzahl obskurer Konstruktionsentwürfe ersetzt, die aber nicht darauf angelegt sind, in Objekte umgesetzt zu werden. Die Bildfläche ist in eine Vielzahl von Kästchen aufgeteilt, in deren Innerem sich jeweils allerlei schlauchartige Organe wiederfinden. Anthropomorphe Formen, Organe und Maschinen: In seiner Textur fungiert das Bild selbst als Körper, in dessen verschiedenartigen Speichern (wie etwa im Orgonmodell von Wilhelm Reich oder auch in der Rhizom-Theorie von Guattari/ Deleuze) Energie abgelagert ist. Kunst nicht am Über-Bau, sondern am Partialobjekt, dem beiläufig das zeitgenössische Denken eingeschrieben ist.

Dieses Verfahren weitet Hesse auf ihre Skulpturen aus. Raum erscheint in totalem Kontrast zur Minimal art als nach Außen gestülptes Innen – verlebendigt und gleichzeitig chiffriert. Anfangs noch stark sexuell konnotiert, wie im Relief „Ringaround Arosie“ aus kreisförmig verklebten Stromkabeln, die sich im Zentrum rosafarben wie eine Brustwarze erheben, weicht in den Arbeiten gegen Ende der sechziger Jahre die körperbetonende Struktur einer extrem hermetischen – wenn nicht kryptischen – Abstraktion, die vom Material ausgeht.

Dennoch kommen Hesses Arbeiten von Anbeginn ohne jenen symbolistischen Mehrwert aus, mit dem etwa ein Lucas Samaras zur gleichen Zeit operierte. Die Qualität ihrer Latex-Waben („Sequel and Schema“, 1967), Polyester- Häute („Tori“, 1969) und phallischen Holz-Gestänge („Purple Piece“, 1965) liegt nicht in der angedeuteten Obsession, sondern in der abstrakten Ordnung, die sich zwischen Gefühlswelt, Körperempfinden und technischer Dynamik einstellt. Ein Verfahren, das Hesse selbst als direkte Emotionalität bezeichnet hat: Der Objekt-Körper erscheint in seiner erstarrten Transparenz, allein auf die Oberfläche festgelegt. Fast körperlos und doch verletzbar. Wenn viele gerade der Polyester-Arbeiten trotzdem den Eindruck von freigelegtem Fleisch hinterlassen, dann vielleicht auch als Anspielung auf eben diese Perversion der Oberfläche, die nichts mehr zu verbergen mag: Artefakte einer Archäologie, die anthropomorphe Fundstücke freilegt. Das Objekt geht vom Menschen aus.

Die Gegenüberstellung der Polaritäten von Innen und Außen, hart und weich oder von Ordnung und Chaos verbleibt undeutlich, um nicht in der Synthese zu enden. Man hat den Eindruck, als wäre Hesse vor der gestrafften Verarbeitung des Materials, wie sie den Minimalisten vorschwebte, immer wieder ausgewichen, um das System so offen wie möglich zu belassen – oder, wie Hesse es 1968 formuliert hat: „I would like the work to be non-work. This means that it would find its way beyond my preconceptions.“ Eine Formel, die zum Kerngedanken der Prozeß- Kunst der siebziger Jahre geworden ist.

Utopische Energien

Die klassische Plastik als raumzeitliche Gegenstandserfahrung verabschiedet sich zugunsten einer strukturell ausgelegten Vorstellung von Vielheiten im Verhältnis zwischen Gewebe, Geflecht und Oberfläche. Das zeigt wahrscheinlich eindringlich die reliefartige Wandarbeit „Hang Up“ von 1966: ein mit Stoff bandagierter und nach unterschiedlichen Graunuancen eingefärbter Rahmen, aus dem ein geschwärztes Stahltau am oberen und unteren Rand wie ein die beiden Pole verbindendes Kabel herauslappt. Die Schlinge umschließt das Rechteck des Rahmens in einer Halbkreisbewegung und öffnet zugleich das gerahmte, aber leere ästhetische Feld in den Raum hinein. Trotz dieser Brechung Außen/Innen bleibt der bildhafte Eindruck in der Harmonie der Installationssituation erhalten. Aus der Frontalsicht erscheint dann als Anamorphose die schwarz gezeichnete Kurve einer Parabel auf weißem Grund.

Das Stahltau ist wiederum in sich selbst gewunden: Auch dieser Kreis schließt sich, als stünde er nicht bloß metaphorisch „unter Strom“. Außer Hesse hat nur Joseph Beuys in dieser Zeit mit ähnlicher Konsequenz an solch utopischen Energiemodellen gearbeitet, wenn auch nicht mit einem dermaßen ausgeprägten Feingespür für die offen abstrakte Form. Im nachhinein ist Hesse diese Gleichzeitigkeit selbst von der amerikanischen Kunstkritikerin Kim Levin in ihrem Essay-Band „Beyond Modernism“ als Einflußnahme von Beuys ausgelegt worden. Zu Unrecht, wenn man die Ausstellung in Paris zugrunde legt.

„no. 17 – Eva Hesse“, bis 20. Juni; Zur Ausstellung ist ein Katalog u.a. mit einem Gespräch zwischen Mel Bochner und Joan Simon erschienen. Preis: 320 Francs.

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