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Runder Tisch erarbeitet 218-Regelung

■ Senatsverwaltungen suchen im Karlsruher Abtreibungsurteil nach Hintertürchen / "Großzügige Anwendung" soll Berlinerinnen helfen / Ärztekammer und Frauenbund richten Nothilfefonds ein

Mit rauchenden Köpfen studieren die Juristen der Senatsverwaltungen zur Zeit die 200 Seiten des neuen Karlsruher Abtreibungsurteils. Vielleicht gebe es ja doch eine Hintertür, die eine weniger restriktive Auslegung des Gesetzestextes auf Landesebene zuläßt, hofft der Büroleiter von Gesundheitssenator Luther (CDU), Wolfgang Erichson. Luther habe die feste Absicht, das Urteil möglichst „großzügig anzuwenden“, um die Auswirkungen auf die betroffenen Frauen „in Grenzen zu halten“. Mitarbeiter der Frauen-, Gesundheits- und Sozialverwaltungen würden „am runden Tisch“ eine „Berliner Regelung“ erarbeiten. Viel Zeit haben sie nicht, denn die Übergangsregelung tritt bereits am 16. Juni in Kraft.

Erhebliche Probleme bereiten vor allem die restriktiven Beratungsvorgaben in dem Urteil. Erichson kann sich durchaus vorstellen, daß sich Beratungsstellen wie Pro Familia weigern, Frauen einseitig zuzureden, das Kind auszutragen. Das zweite Problem sind die Krankenhäuser, wo es große Verwirrung über die Definition „rechtswidrigen Eingriff“ gibt. Die Frage, ob die Kosten von der Krankenkasse übernommen oder aus eigener Tasche bezahlt würden, dürfe für die Häuser kein Grund sein, Patientinnen abzuweisen. Kopfzerbrechen bereite der Gesundheitsverwaltung nicht zuletzt die Tatsache, daß es in Ostberlin bislang noch keine einzige ambulante Abtreibungs-Praxis gibt. Lediglich acht Ärzte haben laut Erichson die Zulassung beantragt.

Unterdessen haben die Berliner Ärztekammer und der Frauenbund einen Nothilfefonds namens „Schwangerschaftskonflikt- und Kinderschutzversicherung“ gegründet. Alle BerlinerInnen sind aufgefordert, einen Jahresbeitrag von zehn Mark zu spenden, erklärte Ärztekammerpräsident Ellis Huber. Mit dem Geld solle bedürftigen Frauen ein Abbruch finanziert werden, der Überschuß komme kindergerechten Einrichtungen zugute. Den Einwand, damit werde der Staat aus der Verantwortung entlassen, findet Huber berechtigt, aber: „Wir alle sind der Staat und müssen für Alternativen sorgen, wenn die Regierung versagt.“ Wieder Abstand genommen hat Huber allerdings von seiner vollmundigen Ankündigung, 10.000 der in Deutschland noch nicht zugelassenen Abtreibungspillen RU 486 zu verteilen, auch „wenn ich dafür notfalls ins Gefängnis muß“. Der Grund: Der Verkauf und die Verabreichung der Pille unterliegen selbst in Frankreich so strengen Kontrollen, daß Huber niemals eine Lastwagenladung zusammenbekäme. Für ungewollte Schwangere weiß er jedoch Trost: Die Mehrzahl der Berliner Mediziner werde sie bestimmt nicht im Stich lassen: „Im Konfliktfall ist der Arzt Anwalt des Individuums und nicht der Gesellschaft.“ Plutonia Plarre

Konto des Nothilfefonds: Ärztekammer bei der Apothekerbank, Konto-Nr. 170113-4000

BLZ 100 90 603 oder: Frauenbund, Postgiroamt Berlin, Konto-Nr. 23277-100, BLZ 100 100 10

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