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Kommunalwahlen im Zeichen des Neubeginns

■ In Italien sinken vor dem ersten Test nach der „Revolution“ die Chancen für eine wirkliche Erneuerung bereits wieder / Nur einige Metropolen setzen auf Erneuerung

Rom (taz) – Die Drei-Personen- Delegation aus Terracina hatte eine, wie sich ihr Sprecher ausdrückte, „sehr ehrenvolle Aufgabe“: ob der taz-Korrespondent denn in Italien das passive Wahlrecht besitze? In diesem Falle nämlich, so die drei weiter, hätten sie eine Idee...

Die „Idee“ bestand darin, den taz-Mitarbeiter als Bürgermeisterkandidaten bei den am 6.Juni allfälligen Kommunalwahlen aufzustellen. Der abwehrenden Geste begegneten sie mit einem realistischen Einwand: daß er durchkäme, dafür seien die Chancen gleich Null. Doch als Zugpferd für ihre Stadtratsliste bräuchten sie eben einen, der einerseits im Städtchen bekannt, andererseits politisch nicht verbraucht sei...

Der taz-Korrespondent ist nicht der einzige Ausländer, dem in den letzten Wochen derlei Vorschläge unterbreitet wurden: landauf, landab waren Aufreißer und Werber unterwegs, die nach geeigneten Gallionsfiguren suchten, um bei den ersten Wahlen seit der „Revolution“ der Korruptionsanklagen Chancen wahrzunehmen, die vielleicht nie wiederkommen.

Neue Gruppierungen sind dabei, wie die „Rete“ (Netz) des antimafiosen Ex-Bürgermeisters von Palermo, Leoluca Orlando, oder die seit drei Jahren steil ansteigenden „Ligen“, die ihren Einfluß von Oberitalien auch ins Zentrum und in den Süden auszudehnen versuchen; neue und alte Linksformationen und Querbeet-Allianzen wie die „Popolari per la riforma“ (Bürger für die Reform) des ehemaligen christdemokratischen Politikers Mario Segni.

Doch nur selten bringen es selbst seit Jahren auf Transparenz und Erneuerung eingeschworene Gruppen wirklich fertig, ihre Reihen von alten Kämpfern oder deren Strohleuten freizuhalten. Im Falle der Delegation aus Terracina ergab schon eine oberflächliche Sichtung der Stadtratskandidaten, woher der Wind wehte: zwar war kein einziger bisheriger Mandatsträger vertreten – doch mit von der Partie waren, neben einer Anzahl zweifellos honoriger Personen, unter anderem auch die Frau eines ehemaligen umstrittenen Bürgermeisters, die Schwägerin eines verrufenen Stadtentwicklungsdezernenten, der Vetter eines in ein Bestechungsverfahren verwickelten Bauunternehmers.

Eine weitere Sichtung ergab, daß auch die anderen Listen kaum besser dastanden: „Da ist ein Recycling im Gange, wie du es dir kaum vorstellen kannst“, sagt ein Kollege der Lokalzeitschrift Reporter, „und es sind nicht Schwerter, die da zu Pflugscharen werden, sondern ich fürchte, es wird eher umgekehrt sein: mancher, der heute noch als Pflugschar werkelt, wird bald als Schwert mißbraucht sein.“

Derlei kommt freilich vor allem in kleineren Gemeinden vor: hier ist die Decke derer, die bisher außerhalb der in sich verfilzten Kungel-Gruppen standen, besonders dünn, und die Chance besonders groß, daß die Bevölkerung am Ende doch wieder lieber die altbekannten Notabeln oder deren Strohleute wählt – weil man die halt kennt und sie im übrigen die besseren Versprechungen machen – als sich mit den meist jungen Erneuerern anzufreunden.

Lediglich eine Handvoll großer Städte, darunter Mailand, Turin und das sizilianische Catania, haben derzeit die Chance eines wirklichen Neuanfangs – wobei allerdings noch keineswegs klar ist, in welche Richtung dieser gehen wird, auch wenn die Favoriten für die Oberbürgermeisterämter recht eindeutig sind: in Mailand liegt der „Rete“-Kandidat Nando dalla Chiesa klar vor dem Zweiten, dem von den „Ligen“ präsentierten Marco Formentini.

In Turin rangiert der ehemalige KP-Bürgermeister und heute ebenfalls in der „Rete“ kämpfende Diego Novelli sogar noch weiter vor seinem Hauptkonkurrenten, Valentino Castellani, den die Linksdemokraten und die „Popolari“ unterstützen. In Catania hat der dort ebenfalls schon vor Jahren als Bürgermeister erprobte Republikaner Enzo Bianco, Kandidat der „Popolari“, seinerseits einen großen Vorsprung vor dem „Rete“-Youngster Claudio Fava. Und wenn nicht alle Zeichen trügen, haben die jeweils führenden Zwei ihre Stadtratslisten tatsächlich einigermaßen homogen mit „sauberen“ Aspiranten besetzt, die auch nicht durch Familienbande mit Dunkelmännern und Korrupten belastet sind.

Daß die italienischen Gemeinderatswahlen diesmal einen besonders hohen Wert erhalten, obwohl lediglich ein knappes Sechstel der Wahlbürger zu den Urnen gerufen ist, hängt mit einer wichtigen Änderung zusammen: das neue, vor zwei Monaten in Kraft getretene Kommunalwahlgesetz sieht die Direktwahl der Bürgermeister vor. Er mußte bisher jeweils vom Stadtrat gewählt werden. Das hat nicht nur mächtige Instabilität verursacht, weil die Koalitionen oft wechselten. Darüber hinaus eröffnete es auch noch eine geradezu unerschöpfliche Möglichkeit für die Parteifürsten in Rom, in ihre eigenen Koalitionsverhandlungen für die Regierung auch noch die Verteilung der jeweiligen Stadtadministrationen im ganzen Land mit einzubringen. So kippten die Bürgermeister reihenweise auch dann noch, wenn in Rom ein neuer Ministerpräsident antrat oder die Regierungsallianz wechselte.

Künftig ist der Bürgermeister nicht mehr stürzbar. Da er überdies schon bei Nominierung bekanntgeben muß, mit welcher Partei beziehungsweise in welcher Koalition er regieren will, ist auch für eine gewisse Homogenität in der Administration gesorgt, theoretisch jedenfalls.

Die Kehrseite: für einen amtierenden Stadtvater ist es nun fast unmöglich, abzutreten – er würde automatisch Neuwahlen und damit den Vorwurf des Wählerverrats und der Verursachung großer Kosten für die Gemeinde auf sich laden. Werner Raith

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