: Trauer in Köln. Kohl in Bonn.
■ Welche Termine den Kanzler vom Trauern abhalten / Anschlag Werk eines Einzeltäters?
Berlin (taz) – Mit Trauerfeiern in Köln und Solingen wird heute der Todesopfer des rassistischen Brandanschlages gedacht. In der Kölner Moschee wollen unter anderen Bundespräsident Weizsäcker und Außenminister Kinkel Ansprachen halten. Kanzler Kohl fehlt. Er hält die Anwesenheit seiner Kabinettsmitglieder für eine „angemessene Beteiligung“ (Regierungssprecher Vogel) der Bundesregierung. Des Kanzlers wichtige Termine, die ihn vom Trauern abhalten: heute ab 9.30 Uhr nimmt er an der turnusgemäßen Kabinettssitzung teil, die unter anderem so brisante Themen wie den Hörfunküberleitungsvertrag und den Entwurf des Gesetzes zur Reform des Weinrechtes zum Thema hat. Anschließend, um 14 Uhr, hält der Kanzler vor 23 Teilnehmern (Referatsleiter und Unterabteilungsleiter) eines Seminars der Bundesakademie für Sicherheitspolitik eine Rede.
Am Freitag werden die Solinger Mordopfer in ihrer türkischen Heimatgemeinde beerdigt. Mit dabei: Außenminister Kinkel. Fehlend: Bundeskanzler Kohl. Der will an diesem Tag, statt „Beileidstourismus“ (Regierungssprecher Vogel zur damaligen Abwesenheit Kohls bei der Trauerfeier in Mölln) zu üben, die Leipziger Buchmesse besuchen – welche allerdings gestern noch nichts von der Visite des Kanzlers wußte. Des weiteren gibt Kohl zwei Fersehinterviews. Eines davon, „Zur Sache, Kanzler!“ zum Thema „Spaltung und Einheit“ beim Privatsender Sat.1, wird nachmittags aufgezeichnet, allerdings erst am nächsten Montag gesendet.
Am Rande des deutsch-französischen Gipfels sprach Kohl gestern im Zusammenhang mit dem Mordanschlag von einer „schrecklichen Heimsuchung“. Die Deutschen sollten sich für die Tat schämen. Beim Gipfel sei Solingen jedoch nur „beiläufig erwähnt“ worden, da die offene, gastfreie und fremdenfreundliche Haltung Deutschlands bekannt sei.
In Hamburg waren gestern 5.000 Menschen von dieser fremdenfreundlichen Haltung nicht überzeugt. Vor allem türkische ImmigrantInnen beteiligten sich an einer Demonstration vor dem Rathaus. Fast alle türkischen Läden und Restaurants blieben aus Protest gegen die Solinger Morde geschlossen. Mehrere Gewerkschaften riefen angesichts der Tat zu Mahnminuten am Arbeitsplatz auf. Die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen appellierte an alle Bürger, heute um 11 Uhr „einen Moment“ innezuhalten oder für fünf bis zehn Minuten die Arbeit niederzulegen. In Berlin werden heute Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes für 15 Minuten als Zeichen der Trauer die Arbeit niederlegen.
Bei der Diskussion um die politischen Konsequenzen aus dem Anschlag mehren sich Stimmen auch aus der CDU, die eine doppelte Staatsbürgerschaft befürworten. So erklärte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, Hans Stercken, gegenüber der taz, es wäre ein gutes Zeichen, wenn Ausländer die Gleichstellung bekämen. Johannes Gerster (CDU) betonte, eine doppelte Staatsbürgerschaft sei schon heute unter bestimmten Bedingungen möglich. Diese Möglichkeiten sollten erweitert werden.
Der Brandanschlag von Solingen mit fünf Todesopfern ist möglicherweise von einem Einzeltäter verübt worden. Die Ermittlungsbehörden gehen inzwischen davon aus, daß der am Sonntag verhaftete 16jährige „alleiniger Täter“ war. Die Bundesanwaltschaft erklärte gestern, die Ermittlungen konzentrierten sich jetzt insbesondere darauf, „ob überhaupt mehrere Personen tatbeteiligt“ gewesen seien. Die Vernehmung hätte gezeigt, daß der Jugendliche von „tiefem Ausländerhaß“ geprägt sei. Er habe oft Schlägereien mit Türken gehabt und sei ein „aggressiver Typ“, aber kein Skinhead, hieß es aus Sicherheitskreisen. mk/klh Seiten 2, 3 + 10
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